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Akademische Einsamkeit II

 

Links ein Bücherstapel. Rechts ein Bücherstapel. Auf dem Regal stapelt es sich auch. Hinter… der Schrank ist auch schon zu gestapelt. Wo anfangen? Die erste Aufgabe ist vergleichbar einfach. Erstmal nur ein Paper. Nicht viel. Ein paar Seiten zusammenhängend, argumentativ ausgewogen über einen doch recht abgrenzten Sachverhalt schreiben. Nichts großes. Nichts verblüffendes. Dazu mischt sich die Hoffnung nach Regen. Ich bin produktiver, wenn es regnet. Oder wenn es bewölkt ist.

Ich suche gerade nach alten Notizen. Und stelle mir dabei vor, wie mein produktiver Arbeitsablauf aussehen würde, wäre ich ein komplettes Digitalisat. Wäre doch das Heraussuchen einer alten Notiz – dessen Inhalt nur noch vage in meinem Gedächtnis vorhanden ist und dessen pointierer Ausdruck mich nun gerade reizt – so einfach wie einen vor Wochen gelesenen Beitrag im GoogleReader wiederzufinden: paar grobe Stichwörter in eine weise und weiße Suchleiste gehackt; ein Viertel Wimpernschlag später, prangt die gesuchte Information mit Unterstreichung der Stichwörter vor mir auf dem Bildschirm. Ich markiere sie und schicke sie mit einem Wisch in ein Textdokument, dass nicht mehr auf meinem Rechner liegt, sondern im Netz in der Cloud. Der Inhalt hovert sich sanft in das Dokument hinein, formatiert sich, passt sich seiner Umgebung an. Übrig bleibt ein kleiner Punkt, der ihn letztlich bezüglich seiner Herkunft identifiziert. Gleichzeitig öffnet sich dezent ein kleines Fenster, dass mir mitteilen will, dass die Literaturangabe erkannt wurde, nach meinem Vorgaben – die ich widerrum auch nur aus anderen Vorgaben angepasst haben – formiert wurde und das entsprechende Buch meiner persönlichen Forschungsbibliothek unter den genannten Stichworten hinzugefügt wurde. Ich weiß jetzt, dass im Hintergrund ein Räderwerk (ich denke diese Metapher wird bald verschwinden) sicherstellt, dass der Aufsatz, wenn nicht gleich das gesamte Buch aus dem Codex in meine Bibliothek portiert wird und gleichzeitig auf allen Lesegeräten, auf allen Rechnern, die Zugang zu meiner Bibliothek haben zugänglich sein wird … und der dort entnommen Sachzusammenhang markiert wird.

Im Dokument wartet bereits ein Bekannter. Er bekam heute morgen die Nachricht, dass ich gestern Nacht für ihn relevant Textteile fertiggestellt hatte. Er hatte weiter oben ein paar Absatz gegengelesen und sie mit Anmerkungen bestückt. Ich kann sehen, wie seine Augen noch einmal durch das Dokument flitzen, wie er mit einer Geste über Teile des Textes hinweg, weitere Informationen freischaltet, die ihn tiefer bringen. Diese Informationen setzen sich aus Forschungsbeiträgen anderer zusammen, aus Informationen und Werktiteln aus den Codices und aus den geteilten Notizen der Forschungsgruppe, der wir beide angehören und natürlich Quellen über Quellen.

In wenigen Tagen muss ich den Text für die gesamte Forschergruppe freischalten. In einem große Diskussionsthread bestehend aus zumeist Videokommentaren, aber auch Audiostellungnahmen sowie Textanmerkungen und der Einbringung eigenen Notizen in die Gruppenpools werde ich ein Feedback erhalten. Danach ist wieder jemand anderes dran. Auch er wird mit Kommentaren bedacht usw.

Ich hoffe es regnet bald.

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