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Alte Helden

Es ging hier lange nicht mehr um Musik. Eigentlich ging hier lange überhaupt nichts mehr. Schade eigentlich.

Eine meiner absoluten Lieblingsbands, die ab 2000 lange Zeit mein Leben bestimmt haben, waren die Smashing Pumpkins. In einem Ferienlager erhielt ich ein Mixtape – darauf waren neben vielen schönen Songs von Bush und den Foo Fighters auch »Today« und »Disarm« vom 1993er Siamese Dreams-Album der Smashing Pumpkins.

Es traf mich damals wie ein Schlag. Zurück aus dem Urlaub versuchte ich jedes Songs der Band habhaft zu werden und arbeite mich durch das komplette Werk. Zeitweise kannte ich jedes Album, jede B-Seite. Besonders das Album Siamese Dreams hatte es mir angetan. Aber ich liebte auch Live- und Acoustic-Versionen der Songs, die ich monatelang mit einer 56k-Leitung nachts im Internet auftrieb. Für einige Zeit gab es in meinem Walkman später CD-Player nichts anderes – sprich ich war ein echter Fan. Es ist schwer zu beschreiben, was die Songs, die bis 2000 auf den Platten der Band erschienen, mir bedeuteten. Doch ich wurde Fan zu einer Zeit, als die Band kurz vor der Auflösung stand oder bereits aufgelöst war und konnte einige Jahre nur aus der Konserve des Plattenschranks leben.

Rückkehr an einen Ort, den es nicht mehr gibt

Ab 2007 fand sich die Band in verschiedenen Konstellationen wieder zusammen und brachte regelmäßig neuen Musik heraus. Doch nichts resonierte in mir. Egal ob Zeitgeist, Oceania, Mounments to an Elegy, Cyr, Atum und was da sonst in den gut 17 Jahren an Platten veröffentlicht wurde. Es gab immer wieder einzelne Songs, die herausstachen, kurz ins Ohr gingen, aber nichts, was dauerhaft berührte. Und so produzierten Sie Album für Album, aber der Sound der Gitarren, der überbordende Einsatz von Synthesizern und nicht zuletzt Billys Gesang fehlt ein wenig das Momentum, der Biss. Mir scheint es so, dass es mit seiner Musik an einen Ort Anfang der 1990er Jahre zurückkehren möchte, der so einfach nicht mehr existiert.

„Siamese Dream“ ist keine Sammlung von Songs, sondern eine Sammlung von Tropen—Gitarrenhelden, majestätische Streicher, dröhnende Hallen, streunende Melodien, quälende Harmonien—arrangiert und dargeboten mit einem Spiel von Licht und Schatten, das die Erinnerungen und Sehnsüchte von Generationen anspricht. (Quelle)

Ich nehme das Fazit dieses Beitrag vorweg. Auch mit dem neuesten Album, Aghori Mhori Mei, das eine selbsterklärte Rückkehr zu den Wurzeln der Band (mutmaßlich Gish, Siamese Dreams und Mellon Collie) gelange ich nicht an den Ort, den die Pumpkins mal für mich bedeuteten. Aber vielleicht an dessen Ortschild. So nah kamen Sie dem noch nie. Wer das besichtigen will, kann sich mal den Opener Edin (via soundcloud) oder des fantastischen Pentagrams (obwohl es auch durchaus Anleihen vom 2014er Tiberious hat).

Glühspuren

Es gibt am Stadtrand von Tübingen eine Gegend, die ich häufig besuchte. Das Wort „Gegend“ klingt schon viel zu ausladend. Es ist eher ein Ort. Ein kleiner Ort. Bahngleise sind zwischen Feldern eingequetscht. Hier und da hat ein geschäftstätiger Schwabe ein kleines Stück Land verpachtet, auf dem energiegeladene Menschen aus der Kernstadt dem kargen Feldboden ein paar Beete abgerungen haben. Behelfsmäßig wurde auch eine Bank aufgestellt. In den mitgepachteten Obstbäumen muss immer eine Schaukel hängen. Flatterband grenzt die frei stehenden Parazellen von der Umwelt ab.

Zum beginnenden Spätsommer, wenn die Felder abgeerntet wurden, duftet es an diesem Ort so intensiv nach Stroh und Heu, dass man fast betäubt wird. Der beste Platz an diesem Ort ist dabei inmitten auf einem staubigen Schotterweg. Am Rand wiegen sich die Gräser im noch hitzigen Wind Süddeutschlands. Man blickt in Richtung Westen. Man blickt auf die Auen des Neckartals, die so saftiges Gras haben, dass es kaum zu glauben ist.

Die Sonne geht hier hinter einer moderaten Bergkette unter. Es sind fast keine Berge. Man blickt im Prinzip auch auf die Grenze von Protestantismus (Tübingen) und Katholizismus (Rottenburg), die sich hier kaum merklich – trotzdem existent – durch die Landschaft schlängelt. Ich kannte diesen Ort von meinem Fitnessbemühungen der Tübinger Jahre. Ich lief regelmäßig durch das Neckartal vorbei an den Gräsern, über die saftigen Wiesen und trat an guten und fitten Tagen zum Katholizismus über, bei dem ich aber oft nicht lang verweilte. Auch jenseits der Laufstrecke besuchte ich diesen Ort oft und wollte den Sonnenuntergang beobachten. Ich schaffte es selten. Stattdessen beobachtete ich nur das Verglühen des Tages, wenn die Sonne schon hinter den Hügeln ist und langsam an Kraft verliert.

Die Wohnung der tausend Böden

All euren Kitschvorwürfen nun einmal standhaltend, denke ich, war dieser Ort am Rande der Stadt in dieser Zeit mein Platz, um die Gedanken ein wenig zu ordnen. Ich war zu diesem Zeitpunkt schon allein in Tübingen. Katze weg, Wärme weg und selbst Schuld. Guten Freunden erzählte ich immer wieder die Geschichte der Trennung. Wie ich an einem Tag hunderte von Kilometer von Tübingen nach Leipzig und zurück fuhr und auf der A6 so heftig schluchzend „Heavy Seas of Love” von Damon Albarn hörte, dass ich anhalten musste.

Zurück in Tübingen schritt ich nun manchen Spätnachmittag allein über die zahlreichen Fußböden der ehemals gemeinsamen Wohnung und war traurig. Vielleicht war es auch nur Selbstmitleid. Trotzdem… war alles nicht einfach. Die Wohnung hatte wirklich eine unfassbare Anzahl an verschiedenen Fußböden. Auf den knapp 65 Quadratmetern hatte jeder Raum seinen eigenen Untergrund erhalten: Holzdielenfußboden, Parkettfußboden, Linoleum, Teppich auf Linoleum, Fließen und Linoleum-Fließen. Letztere ersetzte die Vermieterin später durch Laminat. Um diesem Patchwork der schwäbischen Innenausstattung zu entkommen, spazierte ich gern an den Rand der Stadt, der nun ja unweit dieser Wohnung lag.

Ein Besuch an diesem Ort blieb mir besonders in Erinnerung. Er war Folge einer Email, die in dieses damalige, so zittrige Universum des Liebeskummers gesandt wurde. Mein Herz schlug bis zum Hals als ich den Posteingang öffnete und – fast schon poetisch wie die Verzögerung beim Öffnen eines papiernen Briefes – dass mein altes Smartphone eine ganze Weile brauchte, um die Nachricht zu laden und den schier endlos langen Text auf dem winzigen Bildschirm zurechtzurendern.

Post von damals

Es war eine Nachricht, die es in sich hatte. Sie war der Durchlauf, ja fast schon wilde Durchritt durch eine noch frühere Bekanntschaft. In wenigen Sätzen, faszinierend unprätentiös, wurde ein früheres Leben aus der Versenkung geholt, das dem gerade gescheiterten Leben hier in Tübingen vorausging. Kleine, fast schon vergessene Stationen, die ihr vielleicht noch mehr bedeuteten als mir … damals wie heute. Aber so genau kann ich es heute gar nicht mehr sagen, denn es wurde da in dieser Nachricht ein Bild von mir gezeichnet, das ich schon gar nicht mehr richtig kannte. Das liegt vermutlich daran, dass ich bei dem Versuch Fehlgeschlagenes und Verletztendes zu vergessen (besser zu verdammen) – auch damit begonnen hatte, einen Teil von dem zu vergessen, wer ich mal war.

Ich hastete – vielleicht auf dem Dielenboden, vielleicht auch auf den Linoleum-Fließen – durch die schönen und dann auch durch die nicht so schönen Erinnerungen, die in dieser Nachricht ausgebreitet wurden. Vieles davon lag einige Zeit zurück, etwa fünf Jahre. In der Nachricht wurde nachskizziert wie aus Bekanntschaft, Freundschaft und dann vielleicht so etwas wie kurze Leidenschaft wurde, um am Schluss in Stille zu enden. Aber es war nicht nur historisches in dieser Nachricht versammelt – WG-Geschichten, Partys, Küsse – nein, diese Nachricht war gespickt mit Dingen aus der unmittelbaren Gegenwart. Tweets, Songs, die ich vor Kurzem online postete, weil sie mir etwas bedeuteten. Es war verstörend, dass nach all den Jahren und nach all dem Schweigen, meinerseits, sie offenbar noch immer ab und an meine Glühspuren verfolgt.

Und da saß ich nun. Zwischen den Feldern in der Nähe der Bahngleise und wusste nicht recht, was ich zu all dem denken sollte. Ich weiß nur noch, wie ich versuchte anhand meiner eigenen Glühspuren, die ich schon damals in Form von Gezwitscher und rührseligen Blogposts im Netz hinterließ, mir wieder in Erinnerung zu rufen, was damals zu der Zeit, von der die Nachricht berichtete, los war. In mir. Wie war das als die Senderin dieser Nachricht und ich uns noch nahe standen, wie war noch mal das Gefühl, damals, als dass, was ein Endpunkt für uns beide zu werden drohte, aufzog. Als ich mich an ihren Erinnerungen und meinen Glühspuren zurückhangelte, fiel mir auf, dass ich in all den Jahren immer wieder an sie und an unsere gemeinsame Zeit gedacht hatte. Ich denke, schlicht aus dem Grund heraus, weil es nicht abgeschlossen war. Klar, Abschluss. Da verlangt man vielleicht zu viel. Menschen gehen auseinander. So etwas passiert. Man verliebt sich, glaubt es zumindest und dann ändern sich die Dinge. Ich hegte nie Groll gegen Sie. Ich weiß nur noch, dass ich damals total unter Schock stand als in meinem Zimmer ihren Brief öffnete (oder vielleicht war es auch eine E-mail), in der das Ende verkündet wurde. Es ist ja immer Kennzeichen solcher Nachrichten, dass darin von Plänen berichtet wird, die für einen neu sind und in denen man selbst keine Rolle spielt. Damals war das irgendwas mit Rumänien… Nach dem ersten Schock ging ich dann in brutalen Selbstschutz über und ignorierte alle Kontaktangebote. Vielleicht ein Zeichen, dass mir all das wichtig war und mich vollkommen entsetzt fühlt, dass aus unser Freundschaft kurz Leidenschaft entstand, die dann in noch viel kürzerer Zeit abgefackelt wurde. Vielleicht hatte ich mich damals auch nicht genug angestrengt, aufregend zu sein, begehrenswert oder sonst etwas.

Der Brief, der eigentlich nur eine fröhliche Kontaktaufnahme ohne Hintergedanken sein soll. Er berichtet von Babyfüßen und Babyatem auf dem Bauch . Er fragt mich aber auch, ob ich noch immer Groll hege? Sicher, jetzt nicht mehr. Aber damals. Vielleicht war es damals nur so ein Schock für mich, weil ich immer der erste bin, der für immer denkt und für immer schreit und dann so ne Bauchlandung hinlegt, weil sie dann doch ganz anders tickte. Vielleicht spürte ich auch schon etwas bei unserm letzten Treffen. Ich weiß nur noch, dass ich dann irgendwas Kryptisches in mein Blog tippte und mir sagte: lerne es zu akzeptieren. Es begann in diesem Zimmer und hört halt hier auch wieder auf. Die Traurigkeit wird vergehen, sie wird schneller vergehen, weil es ja noch gar nicht richtig angefangen hatte. Und auf Gründe muss man eh nicht hoffen und zu verstehen gibt es da auch nicht viel.

Und da saß ich nun … im Sommer 2015 und begann diese Zeilen, die ich nun beende. 7 Jahre später.

Für N.

links for 2020-02-28

Ewig keine Linkliste mit Gelesenem mehr veröffentlicht. Die Diagnose, dass ich nichts mehr im Internet lese, trifft nicht zu. Ich habe nur wenig Lust das Gelesene zu kuratieren. Wenn ich es hier im Blog veröffentliche, dann habe ich stets das Gefühl zum Gelesenen und Kuratierten etwas zu schreiben. Einen eigenen Mehrwert hinzuzufügen. Das nervt und so kam es dazu, dass ich ewig keine Linkliste mit Gelesenem mehr veröffentlicht habe. Trotzdem landet alles immer fein säuberlich bei Diigo. Dann und wann vergebe ich dort tags zur besseren Orientierung. Also … nix kommt weg.

  • Mythos Erhard: Die Legende vom deutschen Wirtschaftswunder

    Vor bald 75 Jahren ging der Zweite Weltkrieg zu Ende. Danach soll Westdeutschland, so will es die Legende, ein einzigartiges „Wirtschaftswunder“ erlebt haben, das allein der Währungsreform zu verdanken sei. Und wie in jedem Märchen gibt es dabei auch einen Helden: Ludwig Erhard. Selbst Grüne lassen sich inzwischen mit seinem Konterfei abbilden. Ganz allein soll Erhard die neue D-Mark eingeführt und die „soziale Marktwirtschaft“ erfunden haben. In diesem Narrativ ist Erhard ein überragender Ökonom und Staatsmann, der Deutschland aus tiefster Not errettet hat.

Posted from Diigo. The rest of my favorite links are here.

Beständigkeit

beetlebum

Was ist das richtige Wort dafür? Konstanz, Treue, Unzerstörbarkeit, Nachhaltigkeit… vielleicht Beständigkeit…? Fairerweise muss man aber dazu anmerken, dass die Frequenz von veröffentlichten Beiträgen über die Jahre nicht konstant und beständig geblieben ist, dafür aber die technische Infrastruktur dahinter. Hier noch ein paar Gedanken über die fast schon verloren gegangene Kulturtechnik des Bloggens.

Multiroom

Raumfeld One S

Ich musste Mitte Dreißig werden, um das erste Mal in meinem Leben wirklich eine eigene Wohnung zu beziehen. Als persönliches Projekt hatte ich mir vor meinem Umzug in diesem Jahr vorgenommen, mein neues zu Hause, mein Home-Sweet-Home, nicht nur sweet, sondern auch ein wenig smarter zu machen. Hauptidee, wenngleich auch unnützer Luxus, war es, Musik unterbrechungsfrei in (fast) allen Räumen hören zu können. Die Vision: Schlaftrunken vom Bett in die Küche zum Kaffee und dann gleich wieder trokelnd ins Wohnzimmer, um sich es sich dort langsam niederlassend auf dem Sofa bequem zu machen –  dieser morgendliche Auftauprozess beispielsweise sollte von den morgendlichen Lieblingsaufwachsounds oder zumindest dem Radio umsäuselt werden.

Das Paradoxon der Wahlmöglichkeiten

Als ich Anfang des letzten vorletzten Jahres begann, mich mit dem Thema Multiroom und Streaming-Lautsprechern zu beschäftigen, war der Markt bereits voll von verschiedenen Anbietern und Lösungen, die alle ihre Attraktivität hatten, aber natürlich je nach Anbieter auch Vor- und Nachteile mit sich brachten.Vor allem das Bekanntwerden von Smart-Speakern, die letztlich nicht einzig dem Multiroom-Gedanken gewidmet sind, hat durchaus Vielfalt in den Markt gebracht. Es tummelten sich mit Hersteller wie Sonos, Raumfeld (heute Teufel), Denon mit der Heos-Produktreihe, Sony viele Hifi-Firmen im Markt, die Gesellschaft bekamen durch Google, Amazon, Apple und kleinere Anbieter wie Riva, Urbanears, Eton

Jeder Wettbewerber werkelte an seinem eigenen Lock-in-Effekt. Manche unterstützen auch Bluetooth oder unterstützten sogar Apples Airplay und boten sich entsprechend auch an, die Geräte zur Tonausgabe beim Sehen von Filmen und Serien zu nutzen (Denon, Sonos, Riva); einige bieten Akkupacks, damit der Streaming-Lautsprecher auch mobil genutzt werden kann (Denon, Riva); wieder andere hatten über die übliche Spotify-, Soundcloud-, Tidal-, etc.-Konnektivität hinausgehend auch Googles Chrome Cast an Bord (Raumfeld, Riva, Sony, Urbanears), wieder andere stammten noch aus eine Zeit, in der das Smartphone noch nicht der Dreh- und Angelpunkt der Welt war und boten sogar etwas Exotisches wie Desktop Apps (Sonos).

Dadurch sah ich mich mit einer komplexen Kaufentscheidung konfrontiert. Wäre ich vermutlich einige Jahre früher auf die Idee gekommen, mich mit dem Thema Multiroom und Streaming-Lautsprechern zu beschäftigten, dann wäre aus Ermangelung an Alternativen meine Wahl sicherlich auf Sonos gefallen. Denn Sonos hatte bereits um 2010 mit dem Sonos S5 sowie den re-gebrandeten Play:5 und später dann dem Play:3 und Play:1 das erschlossenste System auf dem Markt und sind heute mit dem Sonos One (dem imho optisch attraktivsten Streaming-Lautsprecher Smartspeaker) zurecht Marktführer unter den WLAN-Boxen (ja, nicht unter den Smartspeakern).

Aber gut, 2010 ist nicht 2018/19 und heute ist der Markt dann schon ein wenig komplexer. Und da man ja stets, vor allem wenn es darum geht, einen größeren Batzen Geld auszugeben, auf der Suche nach der eierlegenden Wollmilchsau ist, die eine nachhaltige Lösung darstellt und wenig Folgekosten verursacht, fand ich den Kauf eines Multiroom-Systems schon herausfordernd. So ein simpler Streaming-Lautsprecher kostet in der einfachen Variante mindestens gut 200 Euro und bei 4-5 auszustattenden Räumen sowie einigen weiteren Kriterien kommt da letztlich schon einiges zusammen.

Diese Überlastung bei Kaufentscheidungen begegnete mir immer wieder – Möbelkauf, Matrazenkauf, Mixerkauf. Seltsam, unsere Konsumgesellschaft… Ich erinnerte mich an das von Barry Schwartz skizzierte Paradoxon der Wahlmöglichkeiten, bei der trotz großem Freiheitsversprechen durch umfangreiche Auswahlmöglichkeiten, die eigentliche Wahl verflucht schwierig wird und letztlich zu einer Lähmung führt, die unglücklich macht. Die im verlinkten TED-Vortrag von Schwartz angeführte Episode des Kaufs einer Jeans trifft den Kern des Problems ganz gut (ab Minute 12:14):

„Wollen Sie schlanke geschnittene, leicht anliegende oder weite? Wollen Sie Knöpfe oder Reißverschluss? Stein oder Säure gewaschen? Wollen Sie eine Jeans mit Löchern? Möchten Sie unten weit geschnitten, kegelig, blah blah blah …“

So unglücklich einen das machen kann und vermutlich Konsumverzicht bzw. Minimalismus vielleicht die sinnvollste Antwort darstellt, half es mir im konkreten Multiroom-Desaster durch einen klaren Kriterienkatalog der notwendigen Bedingungen für die Anschaffung Sinniges von Unsinnigem zu trennen. Ich rechnete hin und her, überlegte, was ich benötige. Blieb dann aber trotzdem leicht unsicher, wofür ich mich entscheiden sollte. Frei nach Schwartz: Menschen, die immer möglichst das Beste finden wollen, sind fast so unglücklich wie Depressive. Das Paradoxon der Wahlmöglichkeiten eben.

Der Kriterienkatalog

So ein Kriterienkatalog ist natürlich immer nur eine Momentaufnahme eines Nutzungsprofils und unterliegt der steten Wandlung. Ich kann für mich aber sagen, dass sich im letzten Jahr zumindest nicht viel verändert hat. Was also waren und sind die Anforderungen?

  • günstige Hardware: 4-5 Räume im Multiroom-Modus abdecken – und dies möglichst kostengünstig ohne brutalen Login-Effekt
  • Stereo-Receiver: Einbinden eines bereits vorhandenen Stereo-Receivers, um möglichst günstig einen Raum bereits abdecken zu können (möglichst kostengünstig)
  • Streamingdienste: als Hauptstreamingdienst nutze ich im wesentlichen Spotify sowie ab und an auch mal soundcloud. Also nix Exotisches. Perspektivisch wäre es aber auch schön den Anbieter wechseln zu können, ohne dabei sämtliche Hardware austauschen zu müssen
  • Radio hören, um vor allem deutschsprachige Sender (Deutschlandfunk/Nova) am Morgen zu lauschen
  • Podcasts sind ein ganz wesentlicher Teil meines täglichen Medienkonsums. Neben den Pendlerstrecken zur Arbeit höre ich Podcasts wahnsinnig gern als Hintergrundbeschallung beim (Haus)arbeiten in der Wohnung. Multiroomfunktionalität mit durchaus verschiedenen Apps (gegenwärtig vor allem PocketCasts) ist somit ein absolutes Muss.

Nice-to-have, aber nicht vordergründig entscheidend sind:

  • Laptop: Sound auch direkt vom Laptop an alle Boxen streamen
  • Mobilität: Lautsprecher auch mal mobil mit Akku für die Terrasse nutzen
  • Smart-Speaker: Perspektivisch wäre es schön auch einen Sprachassistenten (egal ob jetzt Alexa, Siri oder Tante Google) zur Steuerung nutzen zu können.

Bei einigen Kriterien machte ich mir wenig Sorgen. Spotify gehört zur Standardausrüstung jedes Lautsprechers und auch mit TuneIn ist das Radiohören ab Werk stets bereits dabei – egal ob Raumfeld, Sonos, Heos, Yamaha, Bose, Sony usw. Schwieriger wurde es dann schon mit der Podcast-App auf dem Smartphone. Letztlich schien dies die größte Hürde in der lustigen Multiroom-Welt. Airplay war lange nicht Multiroom-fähig – zumindest zum Zeitpunkt meiner zentralen Kaufentscheidungen (Ende 2017). Im Prinzip gab es da lange Zeit nur eine einzige Lösung: Google Chromecast. Sowohl der Client auf dem Telefon als auch der Lautsprecher müssen das Google-Protokoll unterstützen, damit es funktioniert. Später wurde zumindest Pocket Casts auch von Sonos direkt in ihrer unterstützt, aber Mitte/Ende 2017 sah es schlecht aus. Einzig Downcast und Pocket Casts unterstützten bereits Chromecast und somit Multiroom. Apps wie Castro und Overcast haben aus bestimmten Gründen bis heute keinen Support dafür.

Einbinden von Vorhandenem

Man ahnt es bereits. Aber es gibt noch einen weiteren eher finanziell gelagerten Grund, der mich zu einem System respektive Lautsprechern tendieren ließ, die Googles Chromecast unterstützen: das Einbinden eines vorhandenen Stereo-Receivers. Fast alle Hersteller bieten hierfür einen sogenannten Connector an. Nur sind diese Geräte wahnsinnig teuer: Sonos Connect 399€, Teufels Connector 199€ 129€, Heos AMP 300€… Google bot jedoch mit dem Chromecast Audio für knapp 30€ (Gerät leider eingestellt) ein wundervolles kleines Gerät, das es auf einfachste und günstigste Weise ermöglichte, meine Stereoanlage plus Boxen multiroomfähig zu machen.

Die Entscheidung Chromecast zum wesentlichen Merkmal aller Anschaffungen zu machen, war auch von der Idee getragen, einen Google Home Mini für knapp 30 Euro als Badezimmer-Lautsprecher zu nutzen. Gerade in diesem Raum schien mir exzellente Soundqualität nicht zwingend erforderlich. Aber noch etwas sprach für Chromecast. Es ist ein Protokoll, dass von mehreren (und ich hoffte von zukünftig noch mehr) Lautsprecherherstellern implementiert wird und ich somit insgesamt mehr Auswahl an unterschiedlichen Geräten diverser Preiskategorien haben würde. Denn Chromecast findet sich bei Sony, Riva, Teufel, Urbanears sowie diversen High-Fi-Herstellern, die den ein oder anderen Lautsprecher im Angebot haben.

Mit meinem erstmaligen Invest von ca. 250 Euro (Teufel One S, Chromecast sowie Google Home Mini) gelang es mir auf anhieb drei Räume abzudecken. Die Entscheidung für den Raumfeld One S fand ich einzige Zeit recht gelungen, nur um dann festzustellen, dass beim Nachfolger, dem Teufel One S, Chromecast herausgeschmissen wurde und stattdessen jetzt auf ein (Multiroom-!?)Bluetooth gesetzt wird. Auch die Tatsache, dass Google den Chromecast Audio mittlerweile eingestellt hat, lässt mich an der Nachhaltigkeit meiner Entscheidung langsam zweifeln. Zwar habe ich mit Google und den Android-Usern immer noch etwas Wucht für das Protokoll in der Hinterhand, aber Google ist letztlich dafür bekannt, Dingen schnell den Garaus zu machen, wenn sie nicht mehr zur Strategie passen. Auch kann man natürlich darüber streiten, ob ich nicht letztlich denselben Login-Effekt unterliege, nur nicht bei Sonos oder Denon, sondern eben bei Google. Trotzdem: der Preisvorteil und die momentan noch große Vielfalt an unterschiedlichen Geräten waren vorerst das entscheidendste Kriterium. Dies bedeutet auch, dass am Ende, wenn die Strategie nicht aufgeht, dann doch noch nicht so viel Geld verschleudert wurde.

Riva Arena – der Geheimtipp

Riva Arena (weiß)

Wer jetzt richtig gezählt hat, der kommt auf drei Räume. Und ja, später entschied ich mich noch für den Kauf eines Riva Arena, um dann auch den vierten Raum einzubinden. Dieses Gerät ist vermutlich auch auf dem absteigenden Ast. Der Preisverfall ist atemberaubend. OVP war lange Zeit 269€. Heute gibt es das Gerät für gut 130€ oder auch schon weniger. In Deutschland hatte als stationärer Handel die Firma Medimax das Gerät für eine Weile im Vertrieb. Es wurde aber mittlerweile aus dem Sortiment genommen, da es sich vermutlich gegen all die Sonos Ones oder Apple Homepods nicht durchsetzen konnte. (Tipp: Medimax-Filialen sind auf ebay recht aktiv und dort bekommt man zur arg reduzierten Preise noch die alten Restbestände verscherbelt). Schade eigentlich, denn das Gerät ist wirklich recht spektakulär. Nicht das allerschönste, aber ein wahres Ausstattungsmonster, denn man erhält für seine 130 Euro nicht nur Chromecast, Bluetooth samt Airplay 1, Klinkenanschluss, USB-Anschluss sowie Stereo-Paring, sondern vom Klang her stellt der Arena viele andere Boxen, wie z.B. auch meinen Teufel One S, ziemlich in den Schatten und ist für mich absolut auf dem Niveau des Branchenprimus Sonos Play:1 – ich mag es etwas basslastiger. Absoluter Killer ist jedoch, dass man für gut 60 Euro einen separaten Akku erhalten kann, der das Gerät zudem mobil macht. Wahrlich eine eierlegende Wollmilchsau. Bin gerade noch am überlegen, ob ich nicht noch einmal irgendwo zuschlagen sollte, denn amazon führt das Gerät gerade für 109€ (Stand: 20.05.2019).

Fazit

Nun gut… knapp 400 Euro später gibt es Multiroom in den entscheidenden Räumen. Musik funktioniert, Radio funktioniert, Podcasts funktionieren, die alte Stereoanlage ist mit dabei und im Schlafzimmer kann man sich den Kinoklassiker mit ordentlichem Riva Arena-Gewummer anhören. Ein wenig ist der Plan aufgegangen. Mit dem Standardvorgehen wären 4 Räume für unter 400 Euro nicht zu haben gewesen. Auch die Diversität ist im Prinzip gewährleistet. In jedem Raum arbeitet ein anderes Gerät (Bad: Google Home Mini, Küche: Raumfeld One S, Schlafzimmer: Riva Arena, Wohnzimmer: Stereoanlage mit dem Google Chrome Cast Audio) mit je eigener Charakteristik. Aber dank des Chromecast Protokolls arbeiten alle wirklich tadellos zusammen. Keine merklichen Verzögerungen, alle sprechen recht flott an und ich empfinde es bis auf einige Kleinigkeiten sehr problems. Auch die Geräte selbst sind recht stabil. Bis auf einen ausgetauschten Riva Arena, der einfach seinen Geist aufgab, ohne dass Service und Verkäufer einen Grund finden konnten, arbeiten nach ca. 1 1/2 Jahren alle Geräte weiterhin tadellos.

Trotzdem bleibt das ungute Gefühl der mangelnden Zukunftssicherheit. Wie bereits erwähnt, hat sich Teufel von Chromecast verabschiedet, Googles Chromecast Audio-Dongle wurde ersatzlos eingestellt, die Zukunft des Riva Arena bzw. von Riva allgemein ist auch ungewiss. Es bleibt einem letztlich nichts anderes übrig als zu hoffen, dass der ganze Kram ne Weile hält.

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