Was? Deine Magisterarbeit hat über 140 Zeichen? Wer soll denn das lesen?
Heute steht es fest. Die halbjährliche Arbeit, die in so einem großen schwarzen Buch mit silbernen Lettern auf der Front endete, scheint zumindest das Notwendigste bei den Gutachtern ausgelöst zu haben, insofern meine Zulassung zu den schriftlichen Abschlussprüfungen erfolgt ist, die dann wiederum in einem Monat beginnen.
Ignorieren wir einfach mal die Tatsache, dass ich mich und meine Umwelt in den vergangenen sechs Monaten mit Angst-Depressions-Eskapaden – aus heutiger Sicht vermutlich grundlos – fast zu Tode genervt habe, ignorieren wir die Erkenntnis, dass ich nun noch mehr Menschen hasse und konzentrieren wir uns auf die Zusammenhänge, die sich nach sechs Monaten papierener Einsamkeit ergeben haben.
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Ich hatte alles geplant. Minutiös. Das Problem war nur, dass ich bereits bei der Planerstellung wusste, dass es so eh‘ nicht funktionieren würde. Zwar gab es überall – an fast allen Universitäten außer an meiner eigenen – Anleitungen und Planungsrichtlinien, wie ein solches Großprojekt angegangen werden kann. Aber irgendwie scheiterten dann doch alle daran, dass „das Schreiben einer umfangreichen Magisterarbeit in den Leitfäden des wissenschaftlichen Arbeits gern unter dem einzigen Punkt »Rohfassung erstellen« zusammengefasst“ wird. Mein Plan folgte somit dieser Vorgabe und ich schrieb in hochroten Lettern „Magisterarbeit verfassen“ von September ’09 bis Januar ’10 in meinen Kalender.
Was nun in dieser rotmarkierten Zeit passierte, war das klassische „In-seinem-eigenen-Saft-schmoren“, „Sich-um-sich-selbst-drehen“, das beliebte „Bezugspunkte-zur-Realität-verlieren“ und was irgendwie angenehm seltsam war: ein intellektuelles Vereinsamen. Je tiefer ich in diese seltsame Arbeit, deren Ergebnis 4/8 einer Note ausmachen wird, die nach Überreichung des Zeugnisses in der außerakademischen Realität keinen Wert hat, eindrang, desto mehr verlor ich zunächst den Kontakt zu dem, was man Umfeld nennt und schließlich zu mir selbst.
Denn es war eine Mechanik, die plötzlich existierte. Jeder Morgen lief gleich ab. Die Zeiten zwischen Nachtausklang und Arbeitseintritt variierten kaum. Das Ergebnis ist nun, dass ich die einzelnen Tag nicht unterscheiden kann. Alles fühlt sich an wie der gleiche graue Nebel. Die unzähligen Zigarettenpausen sind identisch, die Ängste und aufflammenden Panikattacken und die kurzen Phasen des Hochgefühls, wenn ein Absatz mal besonderes gefallen hat oder ein Mitleser der Arbeit ein gütiges Urteil fällt verkommen zu einem einzigen grauen Masse der Gleichmäßigkeit des Schreckens. Ich fror meine sozialen Kontakte nicht ein, hatte aber selbst das Gefühl in der Interaktion mit ihnen nicht auf sie richten zu können. Ständig standen Fragen im geistigen Raum, die eine Restrealität erzeugte, welche ich meinen sozialen Kontakten übergab, aber in dem Wissen darum, dass es nicht ausreichte um wirklich zu menscheln. Facebook wurde mein Freund. Es war das soziale Umfeld in Dosen. Konsumierbar und auch wie ein Wasserhahn abdrehbar. Und so war es leichter die in mir schwappenden Fragen wie: „Wie lange brauch‘ ich für jenes?“; „Habe ich das schon gelesen?“; „Trifft es den Punkt?“ … also all diese schizoiden Fragen eines Menschen, der an einem Problem herumdoktert, das außer ihm vielleicht noch zwei drei Menschen auf diesem gottverlassenen Planeten interessiert1, zu ignorieren und im Rahmen der blauen Social-Anwendung lebensecht zu bleiben.
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Schlimmer war jedoch – und dies bleibt trotz alle Monotonie separiert – der Kampf mit sich selbst. Ab einem gewissen Punkt war das Kompetenzlevel des Umfelds überschritten und ich war allein. Allein mit der Frage „Kann man das so schreiben?“; „Nimmt man mich damit noch ernst?“; „Klingt das wissenschaftlich?“; „Ist das richtig?“; „Gibt es überhaupt ein richtig?“. Diese akademische Einsamkeit korrelierte beständig mit Versagensängsten, die an manchen Tagen eine Nacht mit mir zum Höllenritt oder auch meinen Fingern einen blutigen Hautverlust zu Teil werden ließen. Ab einem gewissen Zeitpunkt – ich denke trotz allem Grau(s), dass es ab Mitte Januar ’10 gewesen sein muss – war das Schreiben der Arbeit eigentlich nicht ein Problem der Wissenschaftlichkeit oder des Wissens selbst2, sondern vielmehr ein Kampf mit mir selbst. Indem ich feststellte, der einzige zu sein, dem das Thema wirklich etwas sagte und irgendwie wirklich etwas bedeutete, verlor ich das, was ich in meinem Leben immer brauchte: Absicherung; jemand der mir die Bestätigung gibt: „Ja! Das ist richtig.“ Die Menschen, die ich um Hilfe bat, so sehr sie sich auch mühten, konnten mir nie ganz die Sicherheit beschaffen, nach der ich gierte, sondern nur die am schlimmsten blutigen Stellen verbinden. Aber gottseidank taten sie es. So ein Blut ist ja auch endlich.
In diesem Bilde kroch der letzte Monat in atemberaubender Geschwindigkeit vorbei. Und ich musste – nachdem mein nicht geplanter Plan bis auf den letzten Tag fast hervorragend aufging – schon wieder feststellen, ein halbes Jahr Älter geworden zu sein, ohne dass ich eine merkliche Verschlechterung meiner physischen Konstitution konstatieren konnte3.
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Trotz einiger Hindernisse und dem seltsamen Gefühl, es dann trotz aller Zweifel geschafft zu haben, dieses Ding rechtzeitig in eine Druckerei zu bringen, nichts Wesentliches vergessen zu haben und gegen eine Unterschrift drei von diesen schwarzen Büchern mit ihrer henochischen Sprache an das entsprechende Amt regel- und gesetzeskonform vertickt zu haben, ärgere ich mich. Denn tausende von Studenten, Doktoranden und sonst wer schreiben umfangreiche Arbeiten, Tausende erleben dieselbe Mühsal, ohne dabei am Ende die Notwendigkeit zu sehen, wimmernde Blogeinträge zu verfassen. Es ist mir fast schon peinlich, diese akademische Lappalie so auszudehnen, aber vermutlich gehört es zu irgendeiner seltsam gearteten Reife, die über einen kommt, diesen noch viel seltsameren Wesenszug am eigenen Ich zu akzeptieren.
Ab heute ist urbandesire wohl wieder da.4
- Ich sehe dies als Normalfall der akademischen Themenwahl auf geisteswissenschaftlichem Gebiet an, was einiges aussagt [↩]
- schließlich waren zu diesem Zeitpunkt mit über 80 Seiten über 70 Prozent der Arbeit getan [↩]
- solche Sätze sind schreckliche Überbleibsel einer unsicheren akademischen Ausdrucksweise und Kernelement meiner Stilistik [↩]
- Ich mag jetzt übrigens Fußnoten (pdf, 68kb) und griechische Zeichen [↩]
15.03.2010 at 13:29
reflexiv mein guter, aber unterschätze nicht die toleranz deiner freunde, deine eigene kompetenz und die gelassenheit deines selbst, was dich wieder in einklang mti dir bringt, wenn du ihm nur etwas zeit lässt…
und dank dir, ist meine arbeit u meine schaffensphase qualitätiv besser und durchdachter, als wenn cih cniht mit dir all die gespräche gehabt hätte, die wir hatten…
….also: war es jetzt absolut sinnlos & selbstzerstörend?
drück dich!
15.03.2010 at 15:11
Schätze es musste so sein. Aber langsam rückt sich alles wieder gerade. 😉 Normalnull, sozusagen. Ich hoffe natürlich, dass die meine Erkenntnisse besser machen, hab noch paar auf Lager. 😉 … nee eigentlich nicht.
Gedruckt hab ich im Copyshop an der Kirche. Schwarzer Einband mit silberner Schrift (Bild im Eintrag ist invertiert)… sowas gibt es aber auch. Der Buchbinder in der Neugasse hatte silberne Cover mit schwarzer Schrift (war mein Wunsch), konnte es aber aus Zeitgründen dort nicht machen lassen.
Viel Erfolg. Und meld dich, wenn du nen Rat brauchst.
15.03.2010 at 16:24
zeit die beobachterperspektive einmal zu verlassen und sich zu äußern: jedenfalls herzlichen glückwunsch zur fertigstellung und viel erfolg für die weiteren prüfungen!
16.03.2010 at 22:41
stolz sei!
@Agi: das kann er besonders gut, anderen irgendwie klarheit bringen ohne selber plan zu haben, was nich heissen soll, du hattest keinen 🙂 aber du hast dich wohl so gefühlt @urbandesire….
bin sehr froh!!
17.03.2010 at 01:21
Na dann mal toi toi toi!
19.03.2010 at 09:00
du triffs den nagel auf den kopf!
besonders angesprochen hat mich die akademische einsamkeit sowie die graue masse der gleichmäßigkeit des schreckens….
toitoitoi für die prüfungen!