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lost in humanities

Jetzt frag mich doch mal einer, was ich in meinem Studium gelernt habe. Tja, eine ganze Menge. Ich könnte an dieser Stelle über den ontologischen Gottesbeweis berichten oder auch darüber wie ich endlich verstand, dass diese ganzen Versmaße – der gebildete Mensch weiß natürlich, dass es sich hier um den Daktylus, Trochäus, Jambus und im gewissen Maße auch Anapäst um einst (und eigentlich noch immer) griechische Versmaße handelt, bei denen nur ein Faktor verändet wurde. Die Griechen messen ihr Versmaß der Zeile nach der Länge der Silben; bei uns Mitteleuropäern spielt dies keine Rolle. Es geht nur darum, ob die Silbe betont wird oder nicht. Nett eigentlich, dass mir dies die Schulbildung nicht vermitteln konnte. Ihr könnt euch sicherlich vorstellen wie ich damals  – ich glaub es war ein Goethe-Seminar – dagesessen habe und den Mund vor Staunen und Verwirrung nicht mehr schließen konnte. Seis drum. Solche Wissensbrocken schleudern noch immer durch mein geistiges Universum. Nun geht die Studienzeit irgendwie demnächst (bald, absehbar, oder doch irgendwann?) zu Ende und man klopft seine Wissen Skills nach Verwertbarem ab. Nicht viel, was da im Kampf ums Überleben übrig bleibt.

Gestern saß ich im Büro. Es war Samstag. Man gab mir den Schlüssel, damit ich auch arbeiten kann. Nun ja, eigentlich wollte ich das. Während ich die Aufgaben vorantrieb, dachte ich kurzzeitig darüber nach, was der Sinn von Geisteswissenschaften sein soll. Ich kann bis auf einen einzigen keinen erkennen. Die Lage der derzeitigen Geisteswissenschaft ist so desolat und aussichtslos – daraus entstehend ist die moderne Geisteswissenschaft auch rückwärtsgewandt. Sie begreift ihre desolate Lage und orientiert sich in Ewiggestrige. Diesen Fakt muss man anerkennen. Sicherlich ist es notwendig in den Fächern Philosophie, Literaturwissenschaft und Geschichte (etc.) die Alten zu studieren. Doch die Relevanz im Broterwerb ist nicht vorhanden. Niemand braucht das. Niemand bezahlt dafür und wenn wir es im Großen ansehen, geht es schließlich nur darum, sich für seinen Fähigkeiten und Leistungsbereitschaft bezahlen zu lassen. Einzig etwas vermag die Geisteswissenschaft. Sie kann einen Menschen aufzeigen, was ihn wirklich interessiert und gibt ihm neben dem Studium (BA/MA mal ausgenommen) doch durchaus Zeit, diese Interessen zu verfolgen

Warum ist also in den Geisteswissenschaften – sprich in ihrem Kernbereich – so wenig wirtschaftlich verwertbares Potenzial. Wieso ist es für alle Studierenden nur eine schöngeistige Nebenhandlung, sodass die Brötchen durch anderes verdient werden müssen. Interessanterweise habe ich jeden Cent Geld in meinem Leben ohne erworbene Fähigkeiten meines Studiums verdient (Kommentare, dass wir nicht wirklich Fakten lernen, sondern „Problemlösestrategien“ – wir also gemäß dem Begriff „Universität“ zu »Universalisten« für schließlich jeden Bürojob werden, werden ignoriert). Auch meine derzeitige Tätigkeit – nein, nicht das mit den Dosen – benötigt Fähigkeiten, die weit abseits meines Studiums liegen und die ich mir wirklich autodidaktisch antrainiert habe. Eine kürzere und mit mehr Geld gesegnete Ausbildung hätte vermutlich ein vergleichbares Ergebnis erbracht.

Trotzdem: Ich würde nichts anders machen. Denn es gibt noch einen entscheidenden Faktor, der die Geisteswissenschaft unverrückbar in den Lebensläufen möglichst vieler Menschen verankern sollte. Der Geist wird frei. Man denkt nach. Über die Welt, die Zusammenhänge und lebt nicht nur von Paper zu Paper; von Klausur zu Klausur. Naja und wenn Philosophiestudenten und Literaturwissenschaftler zusammensitzen, dann sieht das Weintrinken und Zigarettenrauchen auch irgendwie ehrlicher aus.

4 Kommentare

  1. 🙂 ich muss da grinsen bei der vorstellung des weintrinkens und zigarettenrauchens. (ich mag die ganzen alberbacken eigentlich nicht) aber recht haste wohl. ich stelle mir gerade eine truppe von nerdigen geoinformatikern vor wie die sich wohl anschweigen würden? 😀 *haha* schön geschrieben. es is schon wichtig, dass man das studiert, was einem spaß macht. ich hatte trotz bachelor + master genügend zeit für freizeitliche aktivitäten. alles eine sache des wollens!
    n nettes grüssle cassio
    ps. danke für das album of the week… keiner versteht mich. aber ich finds klasse!

  2. scheiß tippfehler: ich meinte laberbacken. aber alberbacken hat auch was. ; )

  3. Ich habe während meines Philosophiestudiums die Erfahrung gemacht, dass sich für hochspannende Debatten eher Zigarren und Whiskey als Zigaretten und Wein eignen!

  4. Ich würde spontan sagen: Ich habe in meinem Soziologiestudium Möglichkeitssinn gelernt. Nun, da es in die wirkliche Welt gehen wird, müssen all diese Möglichkeiten langsam wieder weggewischt werden. Das ist der Weg des Geisteswissenschaftlers: Lernen was möglich ist, um dann zu erfahren, was wirklich sein soll, sorry, ist.

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