(Aus den Archiven… Entwurf vom 1. April 2016)

„Man muss es aushalten. Irgendwann wird es besser.“ Manchmal verfluche ich es, dass es so einfach ist, diese Sätze auszusprechen und damit einem vermeintlichen Tipp an andere zu geben, wie man mit Einsamkeit umgehen soll. Wenn jedoch wieder die Dämonen in einem selbst hochsteigen, gerufen von dem tagelangen Nebel, der das Haus umgibt, der durch die Fenster hineinkriecht, der die Wärme des Zimmers überwindet und sich eisig um dein Herz legt, ja, dann ist es genau dieser Moment, in dem die Routine und die Geduld, die diesen eben genannten Sätzen innewohnt, der Panik des Alleinseins und der Einsamkeit weicht.

Realistisch betrachtet habe ich recht schlechte Chancen, der Einsamkeit zu entkommen. Schrittweise immer weiter in den Süden geschlittert, Zelte abgebrochen und nie zurückgewandt. In jeder Stadt, in der ich lebte und liebte, habe ich Freunde oder Bekanntschaften zurückgelassen, die ich nicht und die mich nicht mehr besuchen und bei denen es nach all der vergangenen Zeit schwierig, wieder aufeinander zuzugehen. Menschen, die ich neu kennenlerne, warne ich schon immer vor: ich habe ein soziales Aufmerksamkeitsdefizit, das sich auch auf Menschen, die mir eigentlich am Herzen liegen, ausdehnt. Reibt man sich nicht mit einer gewissen Beständigkeit in meinen Alltag ein, verliere ich die Menschen aus dem Blickfeld, auch die, die ich liebte, die mir am Herzen liegen oder die mir wichtig sind. Die Augen werden taub. Das Ohr verstummt. Die Stimme blind. Trotzdessen bin ich traurig diese Menschen verloren zu haben. Seltsam.

Wir hatten dieses Thema nun schon öfter hier. Ich stelle mir dir Frage, ob sich das Gefühl der Einsamkeit wandelt… mit der Zeit. Fühlt sich Einsamkeit mit der Zeit, nicht weil sie länger andauert, sondern weil man selbst älter wird, anders an? Ist dies möglich? Etwa deswegen, weil man als Erkenntnis der Vielzahl zerschissener Beziehungen mitgenommen hat, dass es manchmal gar nicht so einfach ist, Nähe zuzulassen und sich den Menschen, die man mag oder liebt, vollumfänglich und ehrlich zu widmen.1 Die Einsamkeit, die mir hier vorschwebt, ist eine sehr duldsame Einsamkeit, die stoisch akzeptiert und sich selbst in den Alltag einpreist. Man selbst arrangiert sich mit ihr, kokettiert auf eine gewisse Weise damit, die kurz davor steht, Mitleid bei anderen dafür einzufordern: „Der einsame Held brödelt vor sich hin.“ Das ist dann schon fast attraktiv, meint man.

Doch dann trifft man neue Menschen. Und ich erwische mich dabei, wie ich versuche, die Einsamkeit zu verbergen. Es scheint, dass Einsamkeit an dieser Stelle plötzlich und noch deutlicher zu einem Makel des eigenen Fehlgehens wird. Ein Mal der eigenen Unfähigkeit oder Asozialität, die die soziale Attraktivität unter Null sinken lässt. Die Einsamkeit erscheint als etwas, dass das Unglücklich sein vor Augen führt. „Was hast du Freitagabend eigentlich gemacht?“ Die Antwort „Youtube-Videos bis halb elf und danach facebook-google-stalking alter Bekannter von Grundschule bis Jetztzeit. Alkohol war auch Teil davon…“ ist dann nur noch der Offenbarungseid, den man tunlichst vermeiden sollte. Der innere Selbstdarsteller schreit dich dann auch an: „Sag wenigstens, dass du was gelesen hast. Roman, Sachbuch, egal… Hauptsache lesen!“ Natürlich sind Aktivitäten, Hobbys und Interessen Teil eines gesunden Soziallebens. Doch gibt es auch Menschen, die sich verkriechen. Menschen, die aus der Vielzahl der Möglichkeiten, die sich ohne Weiteres, unglaublich günstig und schnell realisieren lassen, einfach nicht wählen können. Menschen, die sich trotz großem Tatendrang am Morgen, am Ende des Tages eingestehen müssen, nur minimale Erfolge herbeigeführt haben, was das Großziel des Couchverlassens angelangt.

Ich weiß nicht, ob es nicht letztlich ein Verkriechen vor der Welt ist? Einfach weil man mit deren Vergnügungssucht nicht zurechtkommt, die stets weitereilt von Ereignis zu Veranstaltung. Oder ob, es ein Fehlen am Menschen ist, die einen Mitreißen, die einem die Augen öffnen für die Schönheit einfach am Leben zu sein und zu leben?

  1. Und jetzt bitte nicht mit dem Gurkenargument kommen, dass wenn man jemanden wirklich liebt, sich dieser Zustand des beständigen Widmens, in-das-Leben-einbauen und Zusammenseinwollens ganz von allein einstellt… meine Erfahrung, nicht nur an mir selbst, zeigt, dass dem schlicht und ergreifend einfach nicht immer so ist. []