Es lässt mich nicht los. Was tun wir, wenn wir bookmarken? Speichern wir die Seite ab, um sie nur zu einem späteren Zeitpunkt wiederzufinden? Ist es wirklich nur der Versuch einer Abkürzung, um ein eventuell nerviges Suchen zu vermeiden? Schon möglich. Früher war das so. Ich legte mir ein Lesezeichen in meiner Lesezeichenleiste an, ein kleines buntes Favicon und ein Wort waren nun aufzufinden, verbanden mich irgendwie mit den Informationen. Bookmarks waren etwas Privates, gingen zunächst nur mich etwas an, erfüllten ihre Gedächtnisstütze, erleichterten das Ansurfen häufig besuchter Webseiten. Und dann kam del.icio.us.
Delicious brach mit der Idee, dass das Lesezeichen nur im Nachttisch im Buch steckten. delicious brachte uns plötzlich dazu, dass Buch an einem öffentlichen Ort liegen zu lassen. Im Park. Wo alle es sehen können, stehen bleiben vor einem Regal mit einem Haufen Lesezeichen, säuberlich sortiert und wenn die Passanten wollten, können sie mein Regal abonnieren und ich reiche ihnen sekündlich frisch meine neusten Funde und Interessen im Netz weiter. delicious schafft es so „eine genuin egoistische motivation […] in eine soziale Aktion“ umzuverwandeln. Wenn ich den Markus von hackr.de hier richtig verstehe, dann bleibt der Vorgang des bookmarkens streng genommen weiter eine private – gar eine egositische Handlung, die Vernetzung treibt es aber zu einer sozialen Aktion. Auch wenn der Vergleich etwas skrupellos ist, ähnelt das bookmark-Verhalten des Web 2.0 dem Hobbeschen Menschen im Natur- bzw. Kriegszustand. Mit seinem naturfundierten egoistischen Eigeninteresse – manifestiert im Recht eines Jeden auf Alles – treibt der Naturmensch sich zwar selbst in den Naturzustand, aber gleichzeitig wirkt der Egoismus wie ein Hebel, der ihn sozial macht. Die Einsicht des Individuums ist für dieses notwendig, um zu verstehen, dass Kooperation und Rechtsverzicht die einzig tauglichen Mittel sind, den Kriegszustand zu beenden. Der Egoismus macht, so verwirrend das auch klingt, sozial. Auch wenn der Vergleich an fünf bis sechs Stellen hinkt, verdeutlicht er ein Prinzip. Egoismen können so aneinandergereiht und geformt werden. In menschlichen, sozialen Gruppen entsteht somit etwas Neues – ein neuer Raum. Ganz automatisch. Ohne, dass wir das eh gemerkt hätten. Das ist die große Stärke von delicious. Es ist die aktiv-passive Community, die mit ihren egoistischen Speichertechniken, einen Trendfinder, eine Art Suchmaschine für das unbewusste Streben des Netzes kreieren konnte.
Fraglich ist, ob das den Gründern des Dienstes bzw. den heutigen Entwicklern oder – und hier fällt das Urteil sicherlich negativ aus – yahoo bewusst geworden ist. Verfolgt man nun die nun langsam verhallende Diskussion um delicious und social bookmarking wird meist angemerkt, dass es ein Web2.0-Urgestein Dienst ist, der als erster neben Flickr den Namen Web2.0 irgendwie verdient hat. delicious als die „altehrwürdige Bookmarkverwaltung“, die verdrängt wird von Tools wie instapaper, evernote, google reader kombiniert mit der google suche oder auch der Linkschleuder Twitter (darüberhinaus auch durch tabbed browsing). Diese Verdrängung impliziert eine grundsätzliche Veränderung des Konzeptes des „bookmarking“. Was wir wieder finden wollen, suchen wir offenbar lieber in Suchmaschinen, per twitter-hashtag und andere Kanäle. Die Relevanz von delicious kann somit weiterhin nur darin bestehen, ein Informationsregulator zu sein, der menschlich bewusst-unbewusst gesteuert verschlagwortet, ansammelt und weiterverteilt.
Aber jetzt mal Schluss mit diesen kreisenden Gedanken, um Relevanz und Mär des Social Bookmarkings. Ich nahm den sunset von delicious als Ausgangspunkt mal einen anderen Dienst auszuprobieren. Mein Wahl viel dabei nicht auf das visuell orientierte Zootool oder auch pinboard, sondern diigo. Der Massenexodus hat vermutlich viele Menschen zu anderen Diensten getrieben, vielleicht haben viele wie ich auch einfach ihre Bookmarks bei einem anderen Dienst importiert, ohne delicious ganz den Rücken zu kehren. Ein perfektes Ausgangspunkt anhand der Linie meiner Bedürfnisse die beiden Dienste – diigo und delicious – zu vergleichen.
Digest of Internet Information, Groups and Other stuff ist wirklich ein beschissener Name. Zumal man ohne Recherche gar nicht darauf kommt, was das heißen könnte: Diigo. Klingt wie ein amerikanischer Mex-Tex-Koch. Ist aber momentan einer der featurereichsten und technologisch umfangreichsten Bookmarking-Dienste im Netz.
Fangen wir mit dem offensichtlichen an: mit der Optik. Diigo ist kurz gesagt: absolut häßlich. Wirklich. So lieblos wie das Menü, Linkcontent und Navigation zusammengebracht werden, schliesse ich nicht auf ein durchdachtes UI-Konzept, sondern durch beständig entwickelte Kompromisse, die die häufig nachgerüsteten Features notwendig werden ließen. Delicious hingegen – auch wenn es vermutlich Gegenmeinungen gibt – wirkt subjektiv auf mich geordneter. Vielleicht liegt es an den Strichen, den dominierenden Farbtönen aus Grau und Blau und den durchdachten Mouse-Over-Animationen. Es ist stringent und vor allem darauf ausgerichtet, zu sortieren, zu archivieren und zu suchen.
Im Hinblick auf die Funktionen kann diigo alles, was delicious als Funktionen sein Eigen nennt, nur mit dem Unterschied, dass Diigo weit darüberhinaus reicht. Allein am Feature des Post-to-Blog wird das deutlich. Delicious kann automatisch täglich Links an ein vorher definiertes Blog senden. Alles, was bei delicious landet, wird automatisch weitergepostet – alle 24 Stunden. Diigo ist das feinfühliger. Nicht nur, dass es möglich ist Listen anzulegen (das nicht-ganz-Äquivalent zu den delicious-Bundles), sondern das Send-To-Blog-Feature ist vollständig steuerbar: Listen, alles, einzelne Einträge sind abwählbar, bevor man sendet sogar noch editierbar. Ja, das heißt auch, dass automatisch gesendet werden kann, aber auch eine manuelle Blogbefeuerung möglich ist. Dabei ist die Konfiguration dieser Funktionen keine Raketentechnik, sondern recht simpel. Es ist also verwunderlich, warum delicious an dieser Funktion über die Jahre hinweg nicht nachgebessert hat. Die Social Media-Integration ist beiden Anbietern nicht geglückt. Twitter klappt, der Rest muss über Plugins geregelt werden. Jedoch bleibt die Frage im Raum stehen, wozu man dies wirklich benötigt. Links gehen ja gleich ab in die Networks und werden nicht es archiviert, um sie erneut zu publizieren. Von daher… alles okay.
Gegen Geld ist es bei diigo möglich sämtliche Bookmarks zu cachen, was ehrlich gesagt, ungeheuer wichtig werden kann, denn oftmals verschwinden Inhalte hinter Bezahlarchiven (faz.net) oder werden vom Netz genommen.
Viel interessanter ist dabei das sogenannten Bookmarklet beider Anbieter. Während delicious schon vor Jahren mit seiner Firefox-Extension den Weg ging, sich in die Browserbookmarks einzufressen und sonst nicht viel Neues zu bieten hat außer eben das Bookmarken selbst mit Tags (bzw. automatisch erkannten Tags, description usw., will diigo an dieser Stelle mehr: neben dem klassischen Bookmarken (respeketive wie bei delicious) ist es möglich, Textstellen zu markieren, mit Notizen zu versehen und – siehe da – auch in Social Networks (twitter, facebook, GoogleBuzz, Email und diigo-Kurz-URL) weiterzuverbreiten.
Die Bookmarkverwaltung auf der Website selbst, ist bei beiden recht ähnlich. Ich sehe aber leicht Vorteile aufgrund der optischen Aufbereitungen bei delicious. Die delicious-Links sind bei diigo „Items“, bundles sind bei delicious tag bundles, während Listen bei diigo item-Listen. Diigo-Listen können noch einmal in sections unterteilt werden, gut für die eigene Stukturierung bzw. dem sortierten Weiterverbreiten in anderen Publikationen. Das Bearbeiten von tags klappt bei beiden Recht gut, optisch natürlich Pluspunkte für delicious. Einzig die Bearbeitung von Listen finde ich bei diigo gruselig: keine Masseneditierung, alles sehr behäbig. Auch das Hinzufügen einzelner Items zu mehreren Listen ist imho nicht möglich. Seltsam. Der workflow bei diigo ist somit ein wenig anders. Wer aber gleich zu Beginn des Bookmarking-Prozesses ein wenig mitdenkt, was seine eigene Sammel- und Archivierungstruktur anbelangt und auch gleich ordentlich taggt, wird schnell alles wiederfinden und im Nachhinein kaum etwas ändern müssen.
Ein wichtiger Aspekt – vielleicht der wichtigste, wenn man meine obigen Worte berücksichtigt, ist die Community bzw. das Network. Es gibt nichts Spannenderes als den bookmarking-Stream zu beobachten und aktuell das Denken der Nutzer nachzuvollziehen. Was ist wichtig, was ist hinreichend bedeutend, um abspeichert zu werden? Hier sehe ich für mich persönlich einen klaren Vorsprung für die delicious-Community. Das Recherchieren – obwohl technisch bei beiden Anbietern recht identisch – versorgt mich bei delicious mit den besseren spannenderen Ergebnissen. Es bleibt also in den nächsten Monaten wichtig zu beobachten, wohin die Entwicklung geht. Ich denke nicht, dass delicious sterben oder gar aussterben wird. Der sinnlose Massenexodus aufgrund einer kleinen Meldung, ist menschliche Hysterie, die sich vornehmlich im Web gerne bildet. Delicious als Urgestein des Web2.0 ist noch zu wichtig, um einfach abzutreten. Ich denke es wird sich schon en business angel finden, der unterstützt; der aber hoffentlich auch darauf besteht, die technologische Entwicklung voranzutreiben. Vor allem im Hinblick auf die Nutzbarmachung der/des „Wisdom/Bookmarking of the crowd“. Denkbar wären zeitlich filterbare Resulate, endlich die Integration des Seiten-Cachings, eine spannendere Verzahnung der tags usw.
Momentan gibt es also nur wenig Gründe umzusteigen. Es sei denn man ist interessiert am Neuen. Diigo neben vielen anderen ein guter Kandidat. Vor allem, weil man durch das nette Feature „Save To Delicious“ beide Accounts bei diigo und delicious synchron halten kann, wenn man die Bookmarks zunächst im diigo abspeichert.
28.01.2011 at 22:10
ja, das Caching fand ich damals schon bei furl gut. Mit deren Abtreten waren jedoch auch alle gecachten Seiten hinüber.
Seiten, die ich mir „aufheben“ möchte, landen heute bei mir in der Firefox-Extension ScrapbookPlus.