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Kategorie: Politik und Wirtschaft (Seite 4 von 12)

Eindimensional

Als ich vor Jahrzehnten mit meinem Studium anfing, grollten am Horizont die dauerhaften Schemen einer Bildungsreform. Die nun mit dem Bologna-Prozess und nun zweistufigen Hochschulabschluss mit Bachelor und Master ihren vorläufigen pervertierten Höhepunkt erreicht hat. Nicht nur, dass gefühlt jegliches studentisches Leben zu versiegen droht … also nicht die entspannenden Sauftouren bei schlechter Musik und Luft, sondern das kulturelle, politische und soziale Engagement in Vereinen und Organisationen, die nun unter eklatantem Mitgliederschwund zu leiden haben… sondern vor allem die neuerlicher Diskussion um den Bildungsstreik mit verdrehten Argumenten, ist mir da ein Dorn im Auge.

Als die Wolke der Bildungsreform immer näher rückte, fand ich mich eines Tages in eine Informationsveranstaltung zu selbigem Thema wieder. Aufgabe der bemühten Dozenten war es, an diesem Tag zunächst das Warum und schließlich auch das jeweilige Wie der Universität des Bologna Prozesses zu erläutern. Bei dem Thema warum blieb mir ein Argument schmerzhaft im Ohr kleben: das Studium an sich muss dem Arbeitsmarkt besser angepasst werden. Der gemeine Magisterstudent studiert an der Realität vorbei. Es brauche eine größere Praxisnähe und es reichen für den Arbeitsmarkt auch „Teilqualifikationen“ … obgleich ich all dies nicht verstand, fragte ich auch nicht nach. Was sind denn eigentlich universitäre Teilqualifikationen, die für den Arbeitsmarkt genügen anstatt von was? Verwirrung. Die Wirtschaft und der Arbeitsmarkt fordere aber immer wieder von Staat, Universitäten und den Studenten selbst jene Praxisnähe und Abrichtung auf den Arbeitsmarkt. Egal.

Was passiert ist? Naja. Ein System von Verschulung der alten Inhalte wurde installiert. Kürzer, effektiver, besser… Bachelor. Ich vermute, alle glaubten somit den Wünschen der neuen weltlichen Allmacht Wirtschaft entsprochen zu haben.

Heute dann das: Ich lese in der sonntaz folgendes:

Kritik an den neuen Abschlüssen kam im Vorfeld auch aus der Wirtschaft. Burkhard Schwenker, Chef der Unternehmensberatung Roland Berger, nannte die Studiengänge in der sonntaz „eindimensional“. „Gerade in unserer immer komplexeren Welt müssten die Hochschulen Studenten zum flexibleren Denken befähigen“, sagte er. (taz)

Offenbar wurde da etwas falsch gemacht.

100000 ist dann doch eine große Zahl

Viele Artikel würden seit meinem ersten Aufruf geschrieben, viele Nachrichten und Stellungnahmen verlesen, es wurde viel diskutiert… noch sind die Kritiker nicht verstummt und die Mitzeichnerzahl bewegt sich auf die 100000 Marke zu. Deswegen kann ich nur raten und bitten sich mit den Argumenten auseinanderzusetzen. Diese können recht umfangreich ergooglt werden (Zensurula etc.) oder auch auf netzpolitik.org eingesehen werden. Für die Basisinformationen sollte zunächst aber erstmal dies genügen: zeichnemit.de Hier können alles Grundinformationen der letzten Wochen nachgelesen und auch weitere Hintergrund zur Epetition recherchiert werden.

Schön, dass es jetzt endlich auf urbandesire.de blinkt.

UPDATE: In der aktuellen Debatte gibt es zwei neue, kontroverse, interessante und doch recht gegensätzliche Artikel. Die Zeit nimmt mit Heinrich Wefing eine krude und für mich zum Teil nicht haltbare Stellung ein, indem sie sinnloserweise ideologisiert: Wider die Ideologen des Internets! (Artikel mit Ausrufezeichen sind immer mit Vorsicht zu genießen.) Christian Stöcker betrachtet imho das Problem differenzierter und sieht die Menschen des Portesbewegung nicht als eine anonyme Masse an, sondern versucht einen Wesenbereich abzustecken, den er als Generation C64 betitelt. Er will darauf aufmerksam machen, was im Namen der Politik schleichend für Grundrechtsverletztungen durch die Regierung begangen werden. Der sehr lesenswerte Artikel heißt: Die Generation C64 schlägt zurück.

lost in humanities

Jetzt frag mich doch mal einer, was ich in meinem Studium gelernt habe. Tja, eine ganze Menge. Ich könnte an dieser Stelle über den ontologischen Gottesbeweis berichten oder auch darüber wie ich endlich verstand, dass diese ganzen Versmaße – der gebildete Mensch weiß natürlich, dass es sich hier um den Daktylus, Trochäus, Jambus und im gewissen Maße auch Anapäst um einst (und eigentlich noch immer) griechische Versmaße handelt, bei denen nur ein Faktor verändet wurde. Die Griechen messen ihr Versmaß der Zeile nach der Länge der Silben; bei uns Mitteleuropäern spielt dies keine Rolle. Es geht nur darum, ob die Silbe betont wird oder nicht. Nett eigentlich, dass mir dies die Schulbildung nicht vermitteln konnte. Ihr könnt euch sicherlich vorstellen wie ich damals  – ich glaub es war ein Goethe-Seminar – dagesessen habe und den Mund vor Staunen und Verwirrung nicht mehr schließen konnte. Seis drum. Solche Wissensbrocken schleudern noch immer durch mein geistiges Universum. Nun geht die Studienzeit irgendwie demnächst (bald, absehbar, oder doch irgendwann?) zu Ende und man klopft seine Wissen Skills nach Verwertbarem ab. Nicht viel, was da im Kampf ums Überleben übrig bleibt.

Gestern saß ich im Büro. Es war Samstag. Man gab mir den Schlüssel, damit ich auch arbeiten kann. Nun ja, eigentlich wollte ich das. Während ich die Aufgaben vorantrieb, dachte ich kurzzeitig darüber nach, was der Sinn von Geisteswissenschaften sein soll. Ich kann bis auf einen einzigen keinen erkennen. Die Lage der derzeitigen Geisteswissenschaft ist so desolat und aussichtslos – daraus entstehend ist die moderne Geisteswissenschaft auch rückwärtsgewandt. Sie begreift ihre desolate Lage und orientiert sich in Ewiggestrige. Diesen Fakt muss man anerkennen. Sicherlich ist es notwendig in den Fächern Philosophie, Literaturwissenschaft und Geschichte (etc.) die Alten zu studieren. Doch die Relevanz im Broterwerb ist nicht vorhanden. Niemand braucht das. Niemand bezahlt dafür und wenn wir es im Großen ansehen, geht es schließlich nur darum, sich für seinen Fähigkeiten und Leistungsbereitschaft bezahlen zu lassen. Einzig etwas vermag die Geisteswissenschaft. Sie kann einen Menschen aufzeigen, was ihn wirklich interessiert und gibt ihm neben dem Studium (BA/MA mal ausgenommen) doch durchaus Zeit, diese Interessen zu verfolgen

Warum ist also in den Geisteswissenschaften – sprich in ihrem Kernbereich – so wenig wirtschaftlich verwertbares Potenzial. Wieso ist es für alle Studierenden nur eine schöngeistige Nebenhandlung, sodass die Brötchen durch anderes verdient werden müssen. Interessanterweise habe ich jeden Cent Geld in meinem Leben ohne erworbene Fähigkeiten meines Studiums verdient (Kommentare, dass wir nicht wirklich Fakten lernen, sondern „Problemlösestrategien“ – wir also gemäß dem Begriff „Universität“ zu »Universalisten« für schließlich jeden Bürojob werden, werden ignoriert). Auch meine derzeitige Tätigkeit – nein, nicht das mit den Dosen – benötigt Fähigkeiten, die weit abseits meines Studiums liegen und die ich mir wirklich autodidaktisch antrainiert habe. Eine kürzere und mit mehr Geld gesegnete Ausbildung hätte vermutlich ein vergleichbares Ergebnis erbracht.

Trotzdem: Ich würde nichts anders machen. Denn es gibt noch einen entscheidenden Faktor, der die Geisteswissenschaft unverrückbar in den Lebensläufen möglichst vieler Menschen verankern sollte. Der Geist wird frei. Man denkt nach. Über die Welt, die Zusammenhänge und lebt nicht nur von Paper zu Paper; von Klausur zu Klausur. Naja und wenn Philosophiestudenten und Literaturwissenschaftler zusammensitzen, dann sieht das Weintrinken und Zigarettenrauchen auch irgendwie ehrlicher aus.

Die dunkle Seite des Bewerberblogs

Der Titel da oben klingt reißerisch. Ich weiß. Es ist aber keine Kritik am Bewerberblog. Ich finde es sehr gut, was das Team von TowerConsult da auf die Beine gestellt hat und begrüße die richtige Mischung aus Impressionen des Büroalltags sowie die Anreicherung mit Sichtweisen von Personalern und deren Vorstellungen des perfekten Kandidaten für die ausgeschriebene Stelle. Meine Meinung war ja bereits immer: Blogs sind gut. Egal, wo oder wie sie eingesetzt werden; Hauptsache die Betreiber meinen es ehrlich.

Die Feierlichkeiten waren dann auch dem Termin angepasst recht freundlich und  veranstaltungsreich: Lesung, Buffet, Kickern und Malen. Schöner, erster Geburtstag. Bitter für Geisteswissenschaftler ist natürlich das Publikum. Ein Mischung aus IT-Entwicklern, Menschen der Wirtschaft, vermutlich auch einiger Personaler… so gesehen, der natürliche Feind eines jeden Geisteswissenschaftlers. Während die Ausbildung oder auch die eigengeleistete Fortbildung eines Menschen erstere Branchen, es ihm ermöglicht, konkrete Jobvorstellungen mit moderaten Gehältern zu realisieren, bleibt der wirklich brotlose Geisteswissenschaftler eher in der dunklen Ecke sitzen. Dieser Optimismus war in einigen Gesprächen durchaus zu spüren. „Everything goes, du musst nur wollen.“ Ein häufig gehörter Satz. Ich badete kurzzeitig in dem Optimismus dieser Branchen.

Ich fragte mich dann natürlich, warum dies so ist: Optimismus gegen Resignation. Ein Abend mit vor dem Abschluss stehenden Geisteswissenschaftlern endet meist so, dass eine Reihe von Unternehmen aufgezählt werden, die schlecht oder gar nicht bezahlte Praktikastellen ausschreiben, auf die der dann auch am Kneipentisch sitzende Bewerber keine oder nur negative Resonanzen erhielt. Ein direkter Jobeinstieg nach dem Studium wird zur Utopie. In den Ausschreibungen treten Begriffe und Wortgruppenkomposita auf wie „exzellente Leistungen“, „herausragende Ergebnisse“ oder „mehr als überdurchschnittliche Potentiale“. Zynisch könnte man anmerken, dass der Wortschatz-Duden das Hauptarbeitsgerät eines jeden Personalers sei. Eine Frustration ist dann das Ergebnis. Das Studium der Anthropologie oder Religionswissenschaft oder schlimmer noch der Philosophie hat das „persönliche Branding“ auf eine Null beschränkt. Die Fähigkeiten über Religionsriten der Syrer zu berichten oder auch einen ontologischen Gottesbeweis gewinnbringend zu vermitteln, sind Eigenschaft einer sterbenden Kultur. Hochgehalten von  wenigen Verwirrten, die die Germanistikhörsäle dieser Republik bevölkern, die in ihrer Nachabiturphase monetäre Gedanken ausblenden, doch dann schrittweise, Semester für Semester auf den Boden eines Berufsethos geworfen werden, zu dessen Leitkultur es gehört, Powerpointfolien im 30-Sekunden-Takt abzumalen oder nach der Vorlesung nach einem herunterladbaren Skript zu fragen.

Ich widerspreche diesen Freunden dann immer. Es ist falsch anzunehmen, dass ihr nichts Wert seid. Das „persönliche branding“ ist eine Floskel des „bullshit-bingos„. Irgendwann werden auch die krudesten Personaler erkennen, dass die Mitarbeiteranforderungen, die von Unternehmensberatungen scheinbar standardisiert wurden (überdurchschnittliche Studienleistungen, Praxis- erfahrungen, und ein Aufenthalt im Ausland, dazu Leistungswille, Zielgerichtetheit und Analysefähigkeit – entnommen der ZeitCampus, 11/06) zu einem Kampf geführt haben. Einen Kampf um nicht attraktivere, aber immer weniger Stellen. Und dieser Kampf wird mit allen Mittel geführt. Ein Lebenslaufwettrüsten. Dann wird auch mal verschwiegen, dass das Auslandssemester in Frankreich ein einziges Korpulieren und Saufen mit anderen Erasmusstudenten war, dass Praktikum aus Briefefalten und Telefonlisten aktualisieren bestand (vermutlich wurden dazu die überdurchschnittlichen Potentiale benötigt) usw. usf. Es ist nicht der Lebenslauf der sich bewerben sollte, sondern im Eigentlichen eine Persönlichkeit, eine Seele; auch wenn das Bewerbungsfoto schlecht ist (es sei aber angemerkt, dass trotzdem Formalien auf einer Bewerbung eingehalten werden sollten, damit die Vergleichbarkeit im gewissen Maße doch gegeben ist… machen wir uns nichts vor: Jobsuche bleibt Konkurrenz und das ist im Grunde auch okay so).

Der gestrige Abend verlief logischerweise etwas anders. Es war vor allem eine gut organisierte Geburtstagsparty, die mir aber zeitweise interessante Einblicke gewährte. Zunächst: Ein Leben ist nicht schwarz-weiß, so wie mir dies von mehreren Seiten zugetragen wurde. Es sind „shades of grey„. Ein Schwarz-Weiß-Denken in gut und schlecht, erfolglos und erfolgreich, richtig und falsch usw. ist nicht zielführend. Es mag in einer Versuchsanordnung wie der Informatik bzw. generell in informationsverarbeitenden Systemen funktionieren. Doch ist dies nur Reduktion; fassbar machen. Nullen und Einsen sind die Basis dieser Welt. Bereits einfachste  physikalische Vorgänge  stoßen bei solch einer Sichtweise an ihre Grenzen. Ursache-Wirkung können durch Reduktion nicht wirklich erklärt werden. Komplexität, emergente Zusammenhänge scheinen paradoxerweise sinnvoller für ein funktionierendes Weltbild.

Und so ist ein Mensch nicht immer nur schwarz-weiss. Er ist kein Lebenslauf und auch kein Vorstellungsgespräch.  Er ist ein „Mehr“. Personalakquise ist vermutlich Glücksache und soll in den Händen von Leuten liegen, die Talent besitzen Anzeichen und Vorzeichen zu sehen. „Personalern“ sollte nicht das Ausspielen der „gatekeeper“-Funktion sein. Ich weiß nicht, wie man diesen Jobsucheprozess menschlicher, ehrlicher gestalten kann, ich weiß nicht wie man diese Tür-zu-halt-Mentalität beendet, ich weiß auch nicht wie man die menschenverzehrende Jobmühle in Zeiten wirtschaftlichen Abschwungs verändert… Es scheinen sich zwei Wege zu zeigen. Die traurigen Geisteswissenschaftler (es bleibt anzumerken, dass es auch glückliche und erfolgreiche geben soll 😉 ) haben die Wahl sich anzupassen und zu verstehen, dass sie gleich der oben erwähnten Branchen sich als eine Marke als eine Sammlung von bezahlenswerten Eigenschaften begreifen müssen. Nur so kann man auf diesen Arbeitsmarkt eventuell noch bestehen. Das heißt skills, softskills, Referenzen und Praktika sammeln… die neue Währung deines Lebens.

Ein anderer Weg ist natürlich Widerstand. Extra alles anderes machen. Ich denke der Phantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt. Um jetzt aber nicht in schwarz und weiß zu verfallen, hoffen wir, dass es auch einen grauen Mittelweg gibt.

Ich danke auf jeden Fall dem bewerberblog.de für Bier, Kuchen und Einsichten. Gerne würde ich noch die von mir durch Jojo angefertigte Karikatur posten, leider steht mir im Moment kein Scanner zu Verfügung. Wird aber nachgeholt.

Uniwahlkampf

Ich bin zu faul etwas zu kommentieren, wichtigere Aufgaben warten. Trotzdessen ist es wichtig dies alles zur Kenntnis zu nehmen.

Die Auswüchse um den Wahlkampf im Stura:

 

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