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Scrivener und das Formatvorlagen-Problem

 

Arranging words in Scrivener

 

Was macht der geneigte Promovent eigentlich, wenn es mit der Dissertation nicht so recht vorangeht? Er geht in sich und erkennt ganz schnell, dass es für sein Stocken viele Gründe gibt. Vor allem aber ist er sich sicher, dass sein Workflow noch optimierbar ist. Wenn dann früher aufstehen, länger arbeiten, weniger Freizeit und noch mehr Paper leser nicht mehr ausreicht, dann kann es eigentlich nur noch daran liegen, dass die Tools, die er verwendet, noch nicht optimiert sind.

Da nun fast jeder Arbeitsplatz eines Mitarbeiters im akademischen Hause mit einem schnellen Internetanschluss versorgt ist, wird sich der Promovent schnellstens ins Internet begeben und nach Lösungen für sein Problem suchen. Er wird schnell fündig. Er braucht mehr Struktur, besser Wissensorganisation, er braucht mehr Flexibilität, er braucht… Eine moderne, viel erwähnte und durchaus adäquate ist dabei das Programm Scrivener. Das Programm der kleinen amerikanischen britischen Softwareschmiede Literature & Latte hat es sich zur Aufgabe gemacht, Autoren, Drehbuchautoren, Studenten und Akademikern im Allgemeinen die Arbeit an langen und komplexeren Texten zu erleichtern:

„Literature & Latte was founded in 2006 with the sole purpose of creating software that aids in the creative process of writing long texts.“1

Und in der Tat Scrivener hat in meinen Augen etwas erreicht, um die Probleme komplexerer Arbeiten anzugehen und zu erleichtern. Ich muss jetzt nicht alles erwähnen, was Scrivener besser macht als eine gewöhnliche Textverarbeitung wie Word, OO oder Pages, denn es gibt genügend detaillierte Rezensionen.

Nur ein unschlagbares Feature möchte ich hier hervorheben. Es ist die grundlegend andere Herangehensweise der Organisation von Text. Man schreibt in Scrivener letztlich nicht nur an einem Dokument – wie etwa in Word oder vielen anderen Textverarbeitungen – von oben nach unten, sondern Scrivener zerlegt ein Dokument beispielsweise anhand der Gliederung in viele Einzeldokumente. So ist es leichter den Überblick zu behalten, Sequenzen neu zu arrangieren und die Komplexität eines größeren Schreibprojekts zu bewältigen. Durch die Hilfe des Binders und eine kompetenten Outliner-Ansicht wird dies erreicht und kaum verbesserungswürdig umgesetzt.

ABER:

Auch die Frage der Formatierung des Dokuments ist nach ein wenig Einarbeitung mit dem Programm durchaus zu bewerkstelligen. Den Teil mal in italics, diese Überschrift ein bisschen größer und die längeren Zitate im Fließtext dann doch ein wenig enger… alles machbar. Aber noch längst nicht so, wie man es von Word oder Ähnlichem gewohnt ist. Somit hört man häufig, dass man das finale Layout ja dann über die Exportfunktion (eigentlich „Compile“) “auch noch in Word erstellen kann. Man kompiliert quasi alle einzelen Textsequenzen nach Wunsch zusammen und gibt sie in einem neuen Dokument (.rtf, .doc, oder .docx) aus. Soweit so gut. Dieser Hinweise ist aber quatsch. Scrivener hat nämlich ein Problem. Der Entwickler erläutert:

„RTF supports stylesheets (albeit messily). RTF is Scrivener’s main export format (it’s .doc, .docx and .odt exporters are all piped through RTF first), but because Scrivener uses the standard OS X text system’s RTF export code, it doesn’t support all RTF features. The standard OS X RTF exporter doesn’t support images, headers and footers, footnotes, comments and much more, but I’ve managed to add all of those features to the RTF (and Word) export by post-processing the RTF. Stylesheets are something else altogether, and would really require me to write my own RTF parser from the ground up, which is why it is something that has been put off for the future (preferably for when I’m rich enough to hire another Mac programmer!).“2

Tja… was bedeutet das. Für den Mac kann man sagen, dass Scrivener auf die systeminterne RTF-Engine von Mac OS X für den Export von Dokumenten nach .rtf, .doc oder .docx zurückgreift. Dieser Standardexporter ist aber ziemlich beschränkt, so dass alle in Scrivener angelegten Formatvorlagen/Styles zu Formatierung des Dokuments zwar optisch im Dokument mehr oder minder umsetzt, aber nicht in die Formatvorlagen des Textverarbeitungsprogramm überträgt. Dies gilt für alles. Also auch für Formatvorlagen, die Überschriften definieren und die man eventuell später braucht, um eine Inhaltsverzeichnis automatisch generieren zu lassen (was ja bei längeren Arbeit fast schon geboten ist).

Word 2008

Üblicherweise sieht dann ein Dokument, das in Scrivener eine Formatvorlage für den Haupttext erhalten hat, eine für eingerückte Zitate und zwei Formatvorlagen für verschiedene Fußnoten und drei Formatvorlagen für Überschriften als Dokument in Word/Pages etc. ganz gut aus, aber ein Blick in die Formatvorlagenbox der Textverarbeitung offenbart das Problem (siehe Bild). Das als exportierte Scrivener-Projekt hat alle Formatvorlagen verloren und somit ist auch ein nachträgliches „layouten“ und anpassen eigentlich hinfällig, weil man ja letztlich nichts hat, was man kontextgebunden anpassen kann.

Somit sei mal hier eine kleine Warnung ausgesprochen, da diese Problem sonst wenig erwähnt wird, und ich mich ein wenig wundere, ob all die guten Rezensionen, die geschrieben wurden, ein verfasstes Dokument auch wirklich bis zum Druck gebracht haben.
Auch die Idee einfach auf weitere Textverarbeitungsprogramme zu verzichten scheitert letztlich an vielen Kleinigkeiten, bei denen Scrivener noch Verbesserungen nötig hat. So ist generell die komplette Editierung von Fußnoten noch höchst problematisch, da an dieser Stelle rein von der Formatierung her kaum Optionen geboten werden (ich beispielsweise will einfach nur eine Leerzeichen zwischen Fußnotenzahl und Fußnotentext, geht nicht…) und auch die Frage der Silbentrennung im Deutschen ist schlicht und ergreifend nicht möglich. Schon diese zwei Punkte allein nötigen schließlich dazu, den Text in einer weiteren Textverarbeitung zu öffnen, um die Missstände zu beseitigen.

Tja. Was kann man tun? Die Organisation von Text und auch das Schreiben im Programm selbst ist sehr angenehm, aber wenn am Ende nicht die volle Kontrolle über den Output gewährleistet werden kann, hat man ein gewisses Problem. Ich möchte somit nicht vollständig von der Nutzung des Programms abraten, aber diese Punkte mal zu bedenken geben.… und noch eine Ankündigung machen: ich werde in den nächsten Tagen mal einen erarbeiteten Work-Around mit Word und Scrivener vorstellen, der letztlich als ein Kompromiss verstanden werden kann.

 

  1. Über Scrivener []
  2. Forenbeitrag vom Scrivener-Entwickler Keith []

2 Kommentare

  1. Literature and Latte ist eine englische, keine amerikanische Firma.

  2. Jap… das stimmt.

Kommentare sind geschlossen.

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