Es ist schon interessant, welche Wogen verschiedene Ereignisse in der Öffentlichkeit haben. Die Schließung von kino.to durch sächsische Ermittler erhielt nicht nur ein Medienecho und befeuerte erneute die Debatte zu Fragen des Urheberrechts und dessen Schutz sowie zu Fragen der Möglichkeiten staatlicher Intervention mithilfe von Zensur und Grundrechtseinschnitten. Nein auch die „Nutzer“ selbst meldeten sich recht offen zu Wort, wenn man diverse Facebook-Pinnwände oder Timelines auf Twitter beobachtete. Viele Menschen waren auf der Suche nach Alternativen für ihre Abendgestaltung und wurden natürlich auch fündig.

Eine viel kleinere Woge der Entrüstung und Aufmerksamkeit hat die Schliessung der Plattform library.nu hervorgerufen. Man musste schon nach Meldungen suchen, die auch auf den online verfügbaren Nachrichtenportalen wenig sichtbar präsentiert waren. Ich denke, der Grund ist recht einfach. Die Popularität von library.nu ist aufgrund der spezifischen Zielgruppe nicht zu vergleichen mit de von kino.to, piratebay.org und ähnlichem. Und doch ist die einstige Existenz der Plattform bemerkenswert und es sinnvoll darüber noch einmal kurz zu reflektieren.

Zunächst einmal ist library.nu nichts anderes als die Anwendung des „kino.to-Prinzips“ auf ebooks: es ist ein „Verzeichnis mit Links auf mehr als 400.000 raubkopierte E-Books sowie den angeschlossenen Filehoster ifile.it“ SpOn am 15.02.2012. Nutzer erhielten eine technische Infrastruktur, mit der es möglich ist ebooks in den üblichen Formaten sowie Digitalisate hochzuladen und zu teilen. So entstand im Laufe der Zeit ein riesiger durchsuchbarer Katalog, der es ermöglichte kostenlos Bücher per DDL auf die eigene Festplatte herunterzuladen. Nicht ganz klar ist, wie stark der „community-Aspekt“ zu beurteilen ist. Das heißt es scheint bisher noch unklar, wer letztlich die ungeheure Zahl der Bücher, die sich mit mittelgroßen Universitätsbibliotheken messen lassen kann, in das System eingepflegt hat. Handelt es sich mehr um eine kriminelle Vereinigung, die den Upload systematisch betrieben hat oder war es dann doch die große Zahl der Nutzer, die zur Pflege des Katalogs beitrugen. Wie aus einem Interview von XX mit der Redaktion von hr2-Kultur der Tag hervorgeht, fanden sich auf der Plattform auch zahlreiche aktuelleste Werke, teilweise sogar noch unveröffentlichte Titel. Ob dies nun für professionelle Strukturen jenseits der technischen Plattform spricht, lässt sich momentan noch nicht entscheiden. Man wird sehen, ob weiter Details in den nächsten Tagen mitgeteilt werden. Was jedoch sicher ist, dass ein internationaler Zusammenschluss aus zahlreichen Verlagen wie Cambridge University Press, John Wiley & Sons, Oxford University Press, Springer, Taylor & Francis, C.H. Beck sowie De Gruyter, um die wichtigsten einmal zu nennen, koordiniert durch den Börsenverein des deutschen Buchhandels gegen die Hintermänner privat ermittelte und nun 17 einstweilige Verfügungen vor dem Landgericht München I erwirkte, die dann natürlich flux nach Irland überstellt wurden, von wo aus das illegale Treiben seiner Ausgangspunkt nahm und jetzt durch Unterlassungsverfügungen beendet wurde.

Das von kino.to und diversen Klonen bekannte Geschäftsmodell, das sich letztlich durch auf den Seiten geschaltete Werbung refinanziert, hat hier erneut über einen gewissen Zeitraum Erfolg gehabt. Was jetzt auffällt sind natürlich die Verlage selbst. Es sind wissenschaftliche Fachverlage, keine Publikumsverlage, die gegen library.nu aktiv wurden, was uns auch gleichzeitig zur Zielgruppe führt. Library.nu war nicht nur irgendein Linkverzeichnis für ebooks, sondern vielmehr eine riesige Fachbibliothek in recht beeindruckender Vielfalt und Qualität, die neben Digitalisaten in Form gescannter pdfs auch alle anderen gängigen Dateiformate .epub, .djvu zum Teil auch direkte pdfs der Verlage, die offenbar mit Lizenzen in deren Plattformen erworben wurden, beherbergte. Auch zahlreiche journals, wenn man Rückschlüsse von den beteiligten Verlagen ziehen will, mussten somit verfügbar gewesen sein.

Es fällt mir gerade schwer, das von Verlagen und Koordinatoren vorgelegte Motiv, von bloßer Piraterie, um Umsätze zu generieren, ohne einen letzten Einwand, zu akzeptieren. Sicherlich die finale Ausprägung des System library.nu erweckt den Anschein, dass es hier ausschließlich um systematischen Urheberrechtsbruch zur Generierung von Einnahmen geht. Doch für mich scheint diese Motivanalyse dann doch etwas zu holzschnittartig. Ich vermute bei der Geburt der Idee dieser Plattform, dass noch andere Motivationen einen Ausschlag gaben, was mich zurück zu den Verlagen führt, die erstaunlicherweise mitnichten Publikumsverlage sind, mit denen sich doch in Hinsicht auf die Leserzahlen vielmehr Umsatz hätte generieren können.

Vielleicht ist library.nu ein kollektiver Reflex auf den schrecklichen Markt akademischer Literatur mit seinen grauenvollen Distributionswegen und horrenden Preisen. Blicken wir deswegen mal ein wenig auf den Arbeitsalltag eines Wissenschaftlers. Egal ob es sich um einen Natur- oder Geisteswissenschaftler_in handelt, egal ob er Student_in oder auch schon der akademischen Profession verfallen ist, die harte Währung der akademischen Zunft ist schlicht und ergreifend das geschriebene Wort, abgefasst in Bücher, Beiträgen zu Herausgeberschriften, papers in Journals oder Artikeln in Fachzeitschriften. Dies ist nicht nur relevant im Hinblick auf den Output des Akademikers, sondern im gesonderten Maße auch im Hinblick auf den Input für seine wissenschaftliche Arbeit. Der Akademiker muss lesen, möglichst viel, möglichst weit und tief… und vor allem möglichst akutell, um nicht zum Kumulationspunkt der Veröffentlichung seiner Arbeit längst veraltet oder gar widerlegt zu sein oder sich gar den Vorwurf des Plagierens aufsetzen zu müssen. Er muss vor dem Schreiben seiner Arbeit den aktuellesten Forschungsstand zur Kenntniss genommen haben. Sicherlich ticken die Uhren da in der Geisteswissenschaft ein wenig langsamer, ganz abkoppeln können sie sich jedoch auch nicht.

Das jetzt nicht alles Friedefreudeeierkuchen ist liegt nun an verschiedenen Faktoren. Aus der Maßgabe möglichst weit und viel zu lesen entsteht ein hoher Bedarf an Büchern und Texten. Jetzt könnte man meinen, dass ein jeder im akademischen Betrieb sich Befindliche auf eine gut ausgestattet Fachbibliothek vor Ort zugreifen kann. Dem ist natürlich so. Doch teilweise braucht es Monate, wenn nicht gar Jahre bis ein Buch in den Bestand einer Bibliothek wandert, dazu kommen Zeiten, gerade bei aktuellen Werken bis man an der Reihe ist es auszuleihen. Wenn es gar nicht in die eigene Bibliothek aufgenommen wird, benötigt man die Fernleihe, wobei noch mehr Bibliotheknutzer sich letztlich ein Buch teilen müssen. Erweitert werden muss dieser Gedanke durch die niedrigen Auflagen, die viele Fachbücher erfahren, so dass deren Zugänglichkeit weiter erschwert wird. Ein Forscher braucht aber ein Buch gerade jetzt, vielleicht nicht in diesem Moment, aber auch nicht erst in ein, zwei, drei oder fünf Monaten.

Ähnliches findet sich bei Journalpapera. Obwohl es hier meiner Ansicht nach ein wenig besser aussieht, da doch gerade die großen Bibliothek einen recht aktuellen Bestand haben den man sich kostenlos kopieren kann. Aber auch hier muss angemerkt werden, dass aktuellste Ausgaben länger nur auf den Publisher-Seiten zu finden sind und wenn die Universitätsbibliothek dann gerade doch mal keine Lizenzen erworben hat, was nicht selten passiert, dann sitzt man vor paywalls mit horrenden Preisen pro Artikel.

Dabei weiß man nie – wieder ein Faktor -, ob denn gerade dieses Kapitel des Buches oder diesen Artikel der Zeitschrift wirklich notwendig und wichtig ist, ob er einem für das Forschungsprojekt oder die Seminararbeit wirklich gelegen kommt oder ob die Überschrift nur doch all zu catchy gewählt wurde und Substanzielles fehlt oder sich im Nachhinein ein ganz anderer Themenfokuss herausstellt. Man weiß halt selten genau, was man im Text geboten bekommt. Ein generelles Problem des Fachbuchs oder des Fachtexts: Man zahlt für Wissensware, die man vorher im Hinblick auf ihre Nützlichkeit nur schwer einschätzen kann.

Ein weiterer Faktor sind die sich nun offenbar ändernden Formen des Medienkonsum: Computer, Tablets und Ereader erfahren auch im akademischen Raum eine immer weitere Verbreitung. Die Verfügbarkeit der Texte muss digital vorliegen und das nicht nur für aktuelle Literatur, sondern genauso für wissenschaftliche Klassiker. Warum soll ich wörtliche Zitate, denn noch abtippen, wenn es denn die grandiose Technologie des copy&paste gibt?

Der nächste übergreifende Faktor sind die horrenden Preise für Bücher, vor allem diejenigen, die in kleineren Auflagen erscheinen. Dieser Faktor stemmt sich letztlich gegen das oben beschriebene Interesse möglichst viel und weit zu lesen, medienunabhängig. Es ist ausgeschlossen, dass sich ein Student so ein Buch leisten kann oder das ein Wissenschaftler auf Dauer bei solchen Preisen zu seinen Büchern für sein Tablet kommen kann.

Das soll jetzt alles nicht suggerieren, dass Forschung ohne kostenlose, an den Verlagen vorbei kopierte ebooks und pdfs nicht funktionieren kann, soll aber dann doch den ermahnenden Zeigefinger heben, dass das momentan Fachbuch-Distributions-und-Preis-System, einfach problematisch ist und Entwicklungen wie library.nu fast mit brutaler Notwendigkeit nach sich ziehen musste. Ich sehe ein, dass die Herausgabe von Büchern, wenn das Fachlektorat vom Verlag selbst organisiert wird, bzw. von peer-review Journals eine wichtige Qualitätssicherung darstellt, honoriert werden muss und Geld kostet. Aber gerade solche Preise für ebooks (wobei es sich im vorhin gewählten Beispiel um eine Einführung handelt), sehe ich als nicht gerechtfertigt an. Von der Verlagsbranche werden neben den gerade beschriebenen Gründen stets weitere wie höhere Abgaben an Autoren, der nicht reduzierte Mehrwertsteuersatz, von dem ebooks nicht profitieren oder das Aufrechthalten einer weiteren Distributionsstruktur neben dem klassischen Verlagsgeschäft mit gedruckten Büchern… ins Feld geführt (Vgl. Die Zeit am 21.09.2010), aber das geht in gewisser Weise an der eigentlichen Problematik vorbei.

Die Verlage müssen auf die veränderten Rezeptionsbedingungen reagieren, die Verlage müssen die Werke zugänglich machen, gerade Fachbücher als das Rückgrat der Forschung muss für die Bildungswilligen auch erschwinglich sein, denn wenn dies nicht geschieht, dann drängen die Verlage letztlich die Leser selbst in die Illegalität, wie dies bereits bei Musik, Filmen passierte und bei den Publikumsebooks noch passieren könnte. Denn auch mit der Schließung von library.nu – die Alternativen sind bereits bereit.