Druck. Wir stehen unter Druck. Ich stehe gerade ein wenig unter Druck. Denn der Dystopist hat einen interessanten Artikel zur aktuellen Guttenberg-Plagiat-Doktor-Gedöns-Affäre veröffentlicht. Es ist natürlich ein teilweise interessanter Einblick eines Forschers, der sich im Wissenschaftsbetrieb befindet und die Standard-Meinung zu Plagitaten und nicht richtig gekennzeichneten Zitaten aufführt. Schön und gut. Scheinbar kommt noch mehr. Aber bisher wird für mich beim Dystopisten, aber auch in den einschlägigen Medien, eine wichtige Kernfrage unterschlagen.
Es ist für mich nur von minderen Interesse, dass eine bisher so glaubwürdige Person wie Herr von Guttenberg plötzlich und vermutlich auch eindeutig des Promotionsplagiates überführt wird – ähnliche Auseinandersetzungen gab es bei Kohl, bei Putin und im literarischen Betrieb vor ein paar Monaten bei Airen und Helene Hegemann – wenn man sich den Workflow eines Politikers ansieht, ist das selbstständige Verfassen von Reden und Manuskripten eher die Ausnahme; ein weltweites und durchaus akzeptiertes Phänomen. Natürlich darf dies nicht für eine Doktorarbeit gelten, denn gerade hier steht die intellektuelle Eigenleistung des Verfassers im Vordergrund mit dem Mindestziel neue Aspekte zur Debatten der Forschung beizutragen, verschiedene Aspekte neu zu kombinieren oder sie an gewissene Themen mit eigenem Standpunkt abzuarbeiten. Das entdecken von neustem Land ist vor allem in den Geistes- und Sozialwissenschaften meiner Ansicht nach eher selten. Es ist ein beständiges Aufsitzen auf vorhandenem, ein Remix, der unterfüttert wird durch noch nicht in den Kreislauf eingebrachtem Wissen, durch sprachliche Prägnanz von Aussagen, die so noch nicht hervorgehoben wurden. Was wichtig ist und worin in dem Dystopisten nun auch zustimme, ist das faire Kennzeichnen der entlehnten und zitieren Stellen. Das ist einfach Wissenschaft, das macht jeder und das ist auch notwendig, damit die Forschung weitergehen kann. Denn durch das Fehlen von Quellen – ein Phänomen, dass es übrigens auch extrem bei den gerade so schön auf das Thema schlagenden Mainstreammedien gibt – wird die Arbeit zum Inselmedium und somit nicht richtig nachvollziehbar, woher all das kommt: eine Sackgasse. Wissenschaftliche Arbeiten leben von offen gelebter Intertextualität und sind Oszillationsmedien.
Schlimmer aber als das guttenbergsche Ignorieren dieses Forschungsgrundsatzes ist der Shift der Debatte. Erstens: Von was soll all das ablenken? Riesige Artikel auf den wichtigsten Seiten der Zeitungen. Meldungen und Artikel zu viel wichtigen Themen: Finanz- und Wirtschaftskrise, HartzIV-Debatte, Revolutionen auf dem afrikanischen Kontinent und im Nahostraum sowie der eigentlich aufsehenerregende Tod von Bundeswehrsoldaten in Afghanistan werden mit einem Streich zu kleinen Anhängseln auf Seite drei. Gleiches gilt für die Onlinemedien. Kein Besuch der Nachrichtenseiten war möglich, ohne auf der Startseite in prominenter Positionen Variationen des guttenbergschen Gesichtes in zum aktuellen Stand der Debatte passenden Ausdrücken zu sehen; gepaart mit Stockfotografien von Bücher- oder Blätterstapeln. All das ist beileibe nicht so wichtig, nicht weltbewegend. Ein kleiner Skandal, eine kleine Affäre, die in den nächsten Jahren nur noch in irgendwelchen TopTen-Listen der blödesten Fehltritte des politischen Berlins auftauchen wird.
Vielmehr sollte man das Entdecken des Plagiates als Ausgangspunkt nehmen, um über die Ursachen nachzudenken, die ich nicht unbedingt in der persönliche Fehlstellung und Selbstwahrnehmung des Betroffenen sehe, sondern vielmehr in einem Systemfehler, der durch zahlreiche hochschulpolitische Reformen noch verstärkt und begünstigt wurde und mit einer Wesensveränderung der Akademiker einhergeht. Der Dystopist spricht den Stress und die Belastung von Bachelorstudierenden an. Ich will das jetzt nicht überbewerten, aber es ist das Ergebnis einer Entwicklung, die ich hochschulpolitisch als sehr problematisch empfinde. Es ist die Verschulung des Studiums zur Effizienzsteigerung, zur Ökonomisierung und Monetarisierung des akademischen Bereichs. Der deutsche Physiker Harald Lesch sprach in einem wunderbaren Rant in einer Folge des Podcasts „Elementarfragen“ über die fehlende Kultur des Vertrauens im Dunstkreis der Universitäten, die ein ruhiges Forschen verhindert und so auch das Entstehen von intellektuellen Höchstleistungen teilweise unterbindet. Ratingagenturen bewerten Studiengänge mit falschem Maß und beenden das wilde „Herumspinnen“ der Akademiker, was primär vielleicht nicht zielführend wirkt, aber wie die Geschichte stets bewiesen hat, mittel- und langfristig immer wieder neue Entdeckungen und Erkenntnisse ermöglichte: „Ein Mangel an Phantasie bedeutet den Tod der Wissenschaft.“1 Man studiert nicht mehr für das Thema, für die eigene intellektuelle und menschliche Weiterentwicklung, sondern soll passend und plan für die kommende Karriere studieren. So der Plan und ein Teil der Kritik Leschs.
So ist ein Doktortitel – dies jetzt bitte nicht über alle Maßen allgemeinernd verstehen – nichts weiter geworden als ein Karriereschritt, bei vielen nicht mehr eine Tat aus innerer Überzeugung sich einem Thema hinzugeben, zu einer Debatte etwas beizutragen. Ein Doktortitel ist Prestige, der offenbar ein weiterhin hohes Ansehen in der Gesellschaft geniesst, der den Promovierenden irgendwie profiliert und zu höherem Respekt verhilft. „Herr Dr. Soundso“ wird so Teil der intellektuelle Elite der Gesellschaft. So die Wahrnehmung. Dass diese vielleicht durchaus richtige Wahrnehmung der Promotion jedoch dazu führt, dass eine solche nur noch als Durchlauferhitzer für eine angestrebte Karriere umfunktioniert wird und fungiert, ist die eigentliche bedauerlich Fehlentwicklung, die an diesem Skandälchen sichtbar wird. Seien wir ehrlich: Man kennt das Leben und den Arbeitstag von Politikern, man kennt den Arbeitsablauf des Abfassens einer ernsthaften wissenschaftlichen Arbeit. Beides ist nahezu nicht – und wenn nur unter großen gar riesigen Entbehrungen – vereinbar. Dass bei Guttenberg nun zu Tage tretenden Plagiat ist nicht nur Ergebnis von formalen Fehlern und mangelnder Sorgfalt (dafür ist das Ausmaß zu umfangreich), sondern von mangelndem Herzblut und falscher Motivation. Die Motivation bestand vielleicht nur darin, dem guten Ton zu entsprechen, die eigene und intellektuelle Leistungsfähigkeit zur Schau zu stellen und sich in späteren politischen Debatten etwas mehr Gewicht verschaffen zu können. Natürlich sind dies alles nur Mutmaßungen meinerseits, jedoch kann ich mir jenseits einer Ghostwriter-These, diese zahlreichen „Schlampereien“ in einem eigenen Baby „Doktorarbeit“ nicht anders erklären.
Das skizzierte Phänomen ist aber leider nicht nur ein Einzelfall eines populären Promovierenden Guttenbergs, sondern eine durch politische Fehlentscheidungen, die von unserer Gesellschaft akzeptiert und teilweise von den Medien gefeiert wurden, heraufbeschworene Entwicklung akademischer Bildung in Deutschland. Schade, dass dies in den Debatten kaum oder nur wenig abgebildet und nachgezeichnet wird. Einige wenige Artikel beschäftigen sich aber mit dieser Frage:
- Guttenbergs Doktor-Arbeit und die Scheineliten im Hochschulbetrieb und komplementär dazu: „Nur die Übertreibung ist wahr“ (Adorno) – eine Antwort an Kritiker und Freunde (dishwasher)
- „Eine Doktorarbeit kostet etwa 20.000 Euro“ (jetzt.de/SZ)
- Warum Doktor machen? (jetzt.de/SZ)
Der Titel des Beitrages ist ein Novalis-Zitat.
UPDATE: Da ist mir dann doch ein Artikel der Zeit vom 16.02.2011 entgangen, der sich der Frage von Hochschulpolitik respektive Leistungsdruck an der Universität und Guttenbergs Plagiat als prominentes Beispiel für diese Entwicklung stellt. Dagny Lüdeman, die Redakteurin im Ressort Wissen von ZEIT ONLINE ist, wittert einen gewissen „Opportunismus“, der den Grund abliefert sich einem Dissertationsprojekt zu widmen. Das ähnelt meinen Überlegungen stark. Schade, dass dieser Aspekt in den Medien nicht weiter verfolgt wurde. (01. März 2011)
- Johannes Kepler [↩]
01.03.2011 at 10:01
Ein wirklich sehr guter Artikel. Das Thema Guttenberg nervte mich von Anfang an, da ich nicht nachvollziehen kann, wie man ein solches Thema so übertrieben „ausschlachten“ muss.
Klar, die Tatsache ist nicht schön, wenn denn die ganzen Vorwürfe so zutreffen. Auch Hat Herr G. einen gewissen Status, was natürlich Öffentlichkeit für dieses Thema erzeugt. Aber wie Du schon geschrieben hast, so konnte man keinen Tag an nahezu keinem Titel vorbeikommen ohne etwas plakativ zu diesem Fall zu lesen.
Neben den von Dir aufgeführten Punkten kommt für mich noch ein weiterer Aspekt in diesem Fall in den Medien viel zu kurz – ja taucht eigentlich gar nicht auf: wenn tatsächlich über 50% dieser DrArbeit so fehlerhaft und schlampig sind, wie es behauptet wird, was muss man dann von einem Dr-Vater (der sich nun öffentlichkeitswirksam distanziert) und dieser Prüfungskommission halten?
Die Tatsache, dass es in der Berichterstattung primär um die Person geht und weniger um das Thema, lässt für mich nur den Schluss zu, dass hier jemand als öffentliche Person und Politiker „demontiert“ werden soll. Meine Nähe zur CSU hält sich stark in Grenzen, wie hier agiert wird finde ich jedoch recht bedenklich… aber offensichtlich ist dies in politischen Kreisen ein gängiges Prozedere… Leider!
02.03.2011 at 12:26
Es geht hier meiner Ansicht nach nicht um die Demontage einer Person. Guttenberg hat die mediale Aufmerksamkeit seiner Person in den letzten Monaten selbst stark befeuert. Somit ist die Diskrepanz zwischen „Saubermann-und-Glaubwürdigkeits“-Image und den nun bewiesenen und mehr oder minder eingestandenen Vorwürfen besondern aufsehenerregend. Natürlich lässt sich ein auf die Persönlichkeit ablegender Artikel zum einen leichter schreiben und zum anderen von uns auch leichter konsumieren.
Aber das Große und Ganze in den Blick zu bekommen, ist schwieriger und weniger vermittelbar. Wir müssten Erkennen, dass unsere eigentliche Moral, was Dinge des Erfolgs im Leben und in der Karriere anbelangt, zweifelhaft ist. Der durch die Gesellschaft und deren Individuen oktroyierter Wille zum Erfolg, zum ökonomischen wie gesellschaftlichen Erfolg ist zweifelhaft und nicht mehr ehrlich gemeint. Politiker sind keine Staatsmänner. Sie sind Autokraten. Wissenschaftler und Studenten wollen sich nicht in aller Freiheit von Zeit (Lebenszeit) bilden, sondern messen den Zeitaufwand im Kostenkalkül. Jede Handlung, jedes Buchlesen, jedes Auseinandersetzen mit Theorien (jetzt in der Wissenschaft) wird nach ihrer Notwendigkeit und nach ihr Nutzen für die „angestrebte“ Karriere befragt. Hochschulreformen haben das in den letzten Jahren nur noch verstärkt. Wie auch der Grundtenor meines Artikels.
01.03.2011 at 10:41
Kann Euch da nur beipflichten!!! Ich fand/find die Art und Weise wie er in den Medien zerissen wurde nicht gut und ich hatte mir auch schon darüber Gedanken gemacht, wieso das jetzt eigentlich gemacht wird und woher die Story überhaupt kam. Haben die einen Detektiv auf ihn angesetzt???
Sicherlich sollten solche Fehler in einer Doktorarbeit (und in anderen wissenschaftlichen Arbeiten, sei es Haus-, Bachelor-, Magister/Master- oder Diplomarbeit) nicht auftreten und müssen auch sanktioniert werden. Dennoch muss hier eindeutig die Uni mit ins Boot gezogen werden. Vor allem wenn die Doktorarbeit ach so fein während der Bearbeitung überprüft wurde.
Bei diesem Mann steht aber garantiert etwas anderes im Hintergrund.
02.03.2011 at 12:32
Spannend ist auch dieser Beitrage von Michael Seemann zu Guttenberg und dem Netz