Ich habe eigentlich nicht viel Zeit. Nur kurz etwas zur Bundestagswahl. Der Wahl-O-Mat wird an mancherlei Stelle angepriesen als die ultimative Wahlhilfe: „Mach den Wahl-O-Maten und du weißt, was du wählen solltest (willst; wirst)!“ Der Wahl-O-Mat besitzt schon seine Berechtigung keine Frage. Er fungiert mehr oder minder als Filter und siebt die seitenlangen Wahlprogramme und Grundsatzprogramm der demokratischen Parteien nach Thesen, auf die die Parteien festgenagelt werden können. Es ist doch irgendwie verständlich und gleichzeitig aber auch traurig, dass dieses hochkomplexe Gebilde der Staatssteuerung (also das, was die Politik so betreibt) nicht schnell erworben und begriffen werden kann.
Ich denke, es ist für die Macher des Wahl-O-Mats ein jedes Jahr neu aufkommendes Problem wie detailliert die Auswertung der Parteiprogramme sein muss. Zu detailliert würde die Informationslast bei der Entscheidungsfindung zwischen Ja, Nein und ich weiß nicht am Wahl-O-Maten schnell so verkomplizieren, dass es Grundfragen, Unterfragen und Detailfragen geben müsste. So bleibt es bei wenigen Politiken gespickt mit Detailfällen. Steht jetzt die Frage zum Atomausstieg in direkter Verbindung mit der generellen Energiepolitik der Parteien … d.h. welches zukunftsfähige und realistische (vor allem finanzierbare) Konzept legen die Parteien bei einer Befürtwortung des Atomausstiegs vor. Entscheidender an dieser Stelle bleibt ja zu Fragen sind sich die Wahl-O-Mat-Nutzer und gleichsam Wähler der Konsequenzen eines Atomausstieges oder der Fortführung der Atomenergie als Lieferant für Industrie und Haushalte bewusst. Der Wahl-O-Mat kann dies an dieser Stelle nicht leisten.
Auch beim Mindestlohn stellt sich die Frage. Bis auf CDU/CSU und FDP wird dieser einheitlich von den bisher im Bundestag vertretenen Parteien gefordert. Jedoch unterscheiden sich die Forderungen: Die Linke will 10 €, die SPD beispielsweise 7,50€ … das scheinen im Detail nur kleinere Unterschiede, jedoch stellt sich bei den vielen Arbeitnehmern, die davon dann betroffen sein könnten die Frage, wie möchten die Parteien das finanzieren. Unterschiede, die der Wahl-O-Mat nicht anzeigt, ja gar nicht wiedergeben kann. Denn seine einzige Fähigkeit ist das Anzeigen von Tendenzen… Weiterhin werden auch die Gründe ausgespart, die die Parteien zu solchen Programmpunkten bewegen. So soll der Mindestlohn den unlauteren Wettbewerb der Löhne (Stichwort: Dumpinglöhne) beenden und den Unternehmern „verlässliche Regeln für einen fairen Arbeitsmarkt“1 zur Seite stellen. Mindestlohn vernichtet keine Beschäftigung, sondern – so die Argumentation – moderate Mindestlöhne befördern die Beschäftigung positiv. Dem kritischen Zeitgenossen wird auffallen, dass an dieser Stelle der Beweis oder zumindest das Argument fehlt, warum das passieren sollte. Warum schafft es das Festsetzen von Löhnen am unteren Rand der Einkommensspanne nicht nur Jobs nicht zu vernichten, sondern die Beschäftigungskurve sogar anzukurbeln? Ungeklärte Frage. Weder im Wahl-O-Mat und was noch schlimmer ist, auch nicht im Deutschlandplan Frank-Walter Steinmeiers oder auch dem Programm der Linken. Dabei ist es doch wichtig die Konsequenzen und Realisierungskonzepte von politischen Konzepten zu kennen.
Die Gegenseite argumentiert dagegen klassisch. Die Festsetzung von Mindestlohnen behindert den Wettbewerb und Arbeitgeber werden sich dreimal überlegen, ob sie ihr Unternehmen mit neuen Arbeitskräfte belasten, auch weil ja gerade in Deutschland die Lohnnebenkosten im Vergleich zum Ausland recht hoch sind usw. usf.
Es wird also klar, dass die Komplexität politischer Entscheidungen und Forderungen nicht abgebildet werden. Noch ein Beispiel. Der Rückzug aus der Bundeswehr aus Afghanistan. Die Mehrheit der Bevölkerung fordert diesen, wollte diesen Krieg nie. Nur die Linke fordert ihn als einzige Partei im Bundestag. Es ist leicht zu fragen, was Deutschland denn am Hindukusch zu suchen hätte, jedoch muss man sich auch die Gegenfrage gefallen lassen, was passieren könnte, wenn die Bundeswehr oder gleichsam die internationale Gemeinschaft sich zurückziehen würde. Afghanistan ist seit der Niederschlagung der Taliban und dem versuchten Wiederaufbau des Landes unter demokratische Flagge kein wirklich befriedetes und noch weniger ein stabiles Land. Es könnte nach dem Abzug der Koalitionstruppen zu einem wiedererstarken der Taliban kommen, ein mögliches politisches Chaos wäre denkbar. Auf jeden Fall stehen die Chancen auf Frieden in Afghanistan nicht automatisch besser, wenn die ausländischen Truppen abziehen. Zumal noch die Bedeutung des östlichen Nachbarn Pakistan als mittlere Atommacht hinzuaddiert werden muss. Pakistan ist den islamistischen Gruppierungen Afghanistans durchaus friedlich gesinnt. Man sieht also, dass der Fall nicht allzu einfach ist und ein Abzug der Truppen durchaus Raum für Diskussion lässt und unter verschiedenen Perspektiven gewertet werden muss. Es ist leicht im Wahl-O-Mat die These anzukreuzen, aber schwer die Konsequenzen aufzusuchen und zu bewerten.
Ein letztes Beispiel sollen die Bürgerrechte sein. Online-Durchsuchung, bundesweite Volksentscheide, kommunales Wahlrecht und Bundeswehreinsätze im Innern spiegeln dabei die Eckpunkte dieses Politikbereiches wieder. Aber allein ein Blick auf den alternativen Wahl-O-Maten des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung zeigt erneut, dass dieser Politikbereich durchaus komplexer gesehen werden kann: Neben Onlinedurchsuchung treten da Themen wie die neue Gesundheitskarte, die Überprüfung der Gesetze auf Verfassungskonformität als unabhängige Kontrolle im Vorfeld, Gesichtserkennung, Nacktscanner am Flughafen, Vorratsdatenspeicherung, Pässe mit Fingerabdruck usw. ufw. auf. Es ist also klar wie viele spezielle Subthemen beim Wahl-O-Mat der bpb unterschlagen werden und unterschlagen werden mussten, um überhaupt irgendwie sinnvoll zu sein. Neben dieser hier auftretenden Mehrfachkodierung durch Subthemen eines Hauptthemas wie Bürgerrechte stellen sich bei den Bürgerrechten ebenso die Fragen der Realisierung und Konsequenzen.
Es ließe sich dies vermutlich auf alle Thesen, Fragen bzw. Themen, die die Wahl-O-Maten verhandeln, ausweiten. Politik ist zwar schön vermittelbar durch markige kraftvolle Ausdrücke, hoffnunggebende Claims und klare Sätze. Jedoch nur vermittelbar – nicht unbedingt richtig, angemessen oder gar ehrlich. Man sollte immer berücksichtigen, wenn es so einfach wäre, dass ein Satz ausreicht, alles zu sagen; dann stimmt etwas nicht. Politik und Wahlkampf ist immer ein Hin-und-Her von Positionen, Ideologien, Ansichten, Hoffnungen zu deren Vermittlung kräftige Trauben herausgepickt und ins rechte Licht gerückt vorgelegt werden, währenddessen die knautschigen Rosinen gerne mal versteckt werden.
Die Wahlentscheidung sollte nicht vom ja oder nein zu bestimmten Thesen des Wahl-O-Matens abhängig gemacht werden. Vielmehr sollte er dazu dienen, mit dem großen Mysterium der Politik Kontakt aufzunehmen und anhand der vorgeschlagenen Themen ruhig auch für sich selbst weiterzurecherchieren, einfach mal das Hirn einsetzen und es sich selbst nicht zu leicht zu machen, dann ist auch der Wahl-O-Mat und jegliche Umfrage eine praktisches Tool im Vorfeld der Bundestagswahl.
UPDATE: Es gibt noch ein paar weitere kritische Stimmen zum Wahl-O-Mat – hier bei: Guardian of the Blind, der sich die Zeit nahm einzeln die Thesen und Fragen abzuklopfen.
- aus dem Deutschlandplan (pdf, 233Kb) von Frank-Walter Steinmeier [↩]
09.09.2009 at 13:42
Sehr guter Artikel… Vor allem der vorletzte Absatz trifft den Nagel auf den Kopf. Ich denke auch, dass der Wahl-O-Mat ein gutes Instrument ist, welches man bei seiner Wahlentscheidung zusätzlich einsetzen kann, man sollte sich aber nicht ausschließlich darauf berufen oder sich gar davon leiten lassen. Die Seiten der Bundeszentrale für Politische Bildung bieten eigentlich schon eine gute Basis, um sich ein Bild von den einzelnen Parteien und ihren Programmen zu machen. Was ich wählen müsste, wenn ich mich an den Wahl-O-Maten halten müsste, hab ich heute auch gebloggt http://tinyurl.com/ksxo8n
09.09.2009 at 14:23
Danke. Das Problem bei den Piraten hast du ja bereits selbst gebloggt. Sie bleibt halt zunächst einen Minderheitenpartei, die sich im Prinzip nur bestimmten Sachgebieten widmet. Angesichts ihre Erfolgsaussichten ist sie aber durchaus wählbar – zumindest als Agenda-Setter ihrer speziellen Themen im Bundestag.
11.09.2009 at 00:44
bist du bescheuert?
11.09.2009 at 08:48
Ach, der Depp vom jaegerzaun stromert hier wieder einmal herum. Und kann immer noch nichts Sinnvolles beitragen. Sei trotzdem gegrüßt du Mensch vom sinnlosesten Blog Deutschlands.