Es muss natürlich eine Fügung des Schicksals sein, dass wenn ich nun schon einmal in Dresden weile, die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden genau die richtige Ausstellung für mich bereithalten: Carl Gustav Carus: Natur und Idee. Carus? … werden sich jetzt einige fragen. Carl Gustav Carus (*1789 – † 1869) war ein Zeitgenosse Goethes. Aber nicht irgendeiner. Der Mediziner, Naturforscher und Maler Carus zählt zu den Verehrern Goethes. Dessen literarische Schaffen inspirierte ihn zu zahlreichen Landschaftsgemälden und Skizzen. Desweiteren lagen die beiden, Goethe und Carus, nach einem Treffen im Juli 1821 auch im regen wissenschaftlichen Austausch über Themen der Botanik, Morphologie, Anatomie, Farbenlehre sowie der Landschaftsmalerei selbst. Carus zählt somit zu einem der Vertreter der wissenschaftlichen Debatten, der in die Diskurse der Goethezeit einzuordnen ist, die es in meiner Arbeit aufzudecken gilt.
Es gibt die nette Anekdote, dass bei einem Treffen der beiden ein Karlsbader Trinkglas (auch zu sehen in der Ausstellung im Residenzschloss Dresden bzw. dem Zwinger Gewölbe) als symbolisches Anschauungsobjekt diente, um durch dessen Trübung das Urphänomen der Farbentstehung zu verdeutlichen (Entopische Farben). In das Glas wurde mit einem bestimmten chemischen Verfahren ein trüber Schmelz aufgetragen, der dazu diente eine geringelte Schlange abzubilden. Hielt man das Glas nun über einem schwarzen Untergrund und bot sich so dem Glas wenig Lichtmenge, zeigte sich die Schlange blau, bei größerer Lichtmenge, etwa einem weißen Untergrund, färbte sich die Schlange gelb. Carus bat nach dieser Unterredung, um die Übersendung solch‘ eines Glases, dem Goethe leider nicht nachkommen konnte. Stattdessen schickte dieser auf ähnliche Weise bearbeitete trübe Glasplättchen.
Trotzdessen erhielt Carus in vielen Bereichen seiner Naturforschungen (Anatomie, Psychologie) und Kunstmalerei nur wenig Anerkennung durch Goethe. Nach dem Ableben Goethes versuchte sich Carus auch als Biograph und Interpret Goethes, da dessen literarisches Schaffen, wie bereits erwähnt, Inspirationsquelle für zahlreiche Naturstudien und Gemälde, aber auch Ansporn für naturwissenschaftliche Forschung (Beispiel: Anatomie und Goethes Entdeckung des Zwischenkieferknochens beim Menschen) war.
Carus ist aus vielerlei Gründen für meine Arbeit interessant. Zum einen kann er als Fortführer der Methoden Goethes bezeichnet werden. So nehmen beide als ihren Ausgangspunkt der Erkenntnis, die Anschauung des Natürlichen. Dabei sieht Carus als seine eigene und auch die Beschäftigung Goethes mit der Natur von einer fast liebvolle Anschauung startend, die dessen Verhältnis begründet, aber auch je individuelle Aspekte mit sich trägt.1 In seinem 1861 – also weit nach Goethes Tod – erschienenen Werk Natur und Idee (passenderweise auch Titel der Dresdner Ausstellung) fasst er unter den Schlagworten Naturwissenschaft und Naturphilosophie seine Denkkonzept sowohl für Forschung als auch für Kunst zusammen. Während sich die Naturwissenschaft mit dem Ordnen und Kategorisieren der Phänomen befasst, ist es der Naturphilosophie angetragen sich mit dem Allgemeinen zu befassen, in dem das Wirken einer „Idee“ in der Natur nachvollzogen werden soll. Diese beiden Erkenntnisstämme dürfen nicht losgelöst voneinander betrachtet werden, sondern ergänzen sich gegenseitig.
Die stete Inspiration findet Carus als im konkreten Objekt, dies teilt er mit Goethe. Doch auch das Werke Goethes selber inspirierte Carus. Mit zahlreichen Faust-Radierungen2 übertrug er die klassischen Werke in romantische Malerei. Mangels illustrativen Talent sind die Figuren in dieser Bildern ähnlich wie bei Caspar David Friedrich oftmals nicht exakt ausgearbeitet und die Landschaft, in der sich die Bildprotagonisten befinden ist bildetet das Hauptaugenmerk. Die Einflüsse von Friedrich und auch Dahl sind schon noch irgendwie erkennbar.
Zur Ausstellung
Für knapp 10 Euro (Studenten ermäßigt mit 7,50 Euro) kann man im Kupferstich-Kabinett im Dresdner Residenzschloss sowie im Semperbau am Zwinger (ja richtig, 2 Ausstellungsorte) einen umfassendenen Einblick in das wissenschaftliche und künstlerische Wirken Carus‘ erhalten. Die Ausstellung im Residenzschloss befindet sich im dritten Obergeschoss und beginnt mit zahlreichen Landschaftsstudien und Gemälden aus allen Schaffensphasen. Carus entwickelt dabei unter dem Begriff „Geognostische Landschaft“3 eine wissenschaftlich fundierte Landschaftsmalerei. Es handelt sich somit um eine Komposition des Lebensweltlichen, die sich der geologischen und biologischen Prozesse bewusst ist und so das klassische Naturbild4 mit dem Historienbild5 vereinen will. Einige Landschaftsbilder haben mich an dieser Stelle sehr beeindruckt, auch wenn Carus‘ lange zeit Dilettantismus vorgeworfen wurde und auch viele seiner bildenden Werke keinerlei Anerkennung bei Goethe fanden, die Carus durchaus suchte.
Weiterhin wurden im Kupfterstich-Kabinett anatomische Studien gezeigt, die Eingang in Carus‘ Arbeit als Mediziner, Anatom und Naturforscher fanden. Seine Sammlung an Totenbüsten (Kant, Beethoven, Goethe etc.) wurden ebenso gezeigt wie die doch recht bekannten Faust-Radierungen.
Der zweite Teil der Ausstellung im Zwinger zeigt Carus‘ Wirken im Kontext seiner Zeitgenossen. Der umfangereichen Auswertung der theoretischen sowie freundschaftlichen Auseindersetzung mit Goethe, Humboldt und Oken mit zahlreichen spannenden Exponaten (man sah das bereits erwähnte Karlsbader Trinkglas Manottis sowie die trüben Glasplättchen) folgte die Darstellung seines Wirken als Arzt (er war Armenarzt, Leibarzt des Säschsischen Kurfürsten Friedrich August II. und Zeit seines Lebens Gynäkologe und Geburtsarzt). Die Darstellung des umfangreichen und somit außerordentlich vielfältigen Lebenswerkes wurde mit zahlreichen Gemälden und Skizzen und Zeichnungen der Italien- und Ostseereise sowie Gemälden von Zeitgenossen abgerundet. Auch die letzte Station Carus‘ in Dresden (genauer Pillnitz) war gut dokumentiert und es wurden zahlreiche wunderschöne Gemälde der Stadt präsentiert6.
Ich verbrachte in beiden Ausstellungsteilen zusammen in etwa vier bis fünf Stunden, denn die Reichhaltigkeit an Gemälden und Grafiken, die das Denken dieses sehr umtriebigen Zeitgenossen Goethes illustrierten war einfach überwältigend. Es gab soviel zu entdecken, nachzuvollziehen und Lücken zu füllen. Die Kuratoren der Ausstellung haben ganze Arbeit geleistet und in dieser einmaligen Ausstellung, die noch bis zum 20. September 2009 in Dresden zu sehen sein wird, wirklich einen reichhaltigen und vertiefenden Ein- und Überblick in das Lebenswerk von Carus gegebenen. Zwar wirkten einige der Gemälde deplaziert – was soll bitte der Osterspaziergang im Italienreise-Kabinett, da ja nun eindeutig keine mediterranen Motive darin zu entdecken waren – und auch hätten einige unbedeutende Skizzen zur Entlastung der Informationsmenge lieber nicht gezeigt werden sollen, aber insgesamt war es eine beeindruckende Ausstellung, die diesen Menschen in als Scharnierfunktion seiner Epoche zwischen Naturwissenschaft, Philosophie, bildender Kunst und wichtigen kreativen und wissenschaftlichen Köpfen seiner Zeit würdig war. Schade eigentlich, dass diese Ausstellung so wenig Resonanz hervorrief und ich erst vor Ort davon erfuhr. Gleichsam Carus‘ Interessengebieten lohnt sich diese Ausstellung für Mediziner, Naturwissenschaftler, Literaten und Literaturwissenschaftler und Kunstinteressierte gleichermaßen.
Zur Ausstellung ist ein umfangreicher Katalog mit dem Titel Natur und Idee (Hardcover, 396 S.) erschienen sowie ein Essayband Wahrnehmung und Konstruktion (Hardcover, 365 S.) beide sind im Umfang und detailreiche der Ausstellung mehr als würdig. Fast hätte ich zugeschlagen. Aber für zusammen 60 Euro bin ich dann doch zurückgeschreckt. Vielleicht später.
Weitere Informationen zur Ausstellung auf den Seiten der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Wer die Ausstellung in Dresden verpasst hat oder bis zum 20. September nicht verfügbar ist, dem ist in der Alten Nationalgalerie in Berlin noch eine Möglichkeit geboten, den dort wird diese vom 9. Oktober 2009 bis 10. Januar 2010 erneut gastieren.
- Vgl. hierzu Grosche, Stefan: Zarten Seelen ist gar viel gegönnt. Naturwissenschaft und Kunst im Briefwechsel zwischen C. G. Carus und Goethe. Mit einem kunsthistorischen Beitrag von Jutta Müller-Tamm, Göttingen: Wallstein 2001, S. 230 [↩]
- Faust im Gebirge, Osterspaziergang, Faust und Wagner mit dem Pudel, Faust im Studierzimmer, Fausts Traum, Faust im Walde und Faust und Mephistopheles im Harz [↩]
- Diesen Titel trägt auch ein Gemälde Carus‘ [↩]
- Carus warf den klassischen Landschaftsmaleren vor, die Strukturen und inneren Prozesse der Natur unter wissenschaftlicher Perspektive überhaupt nicht zu würdigen oder gar zu kennen [↩]
- dessen Vertreter haben die menschliche Anatomie durchaus studiert und wiederzugeben versucht [↩]
- so z.B. das Werke „Blick auf Dresden bei Sonnenuntergang“, um 1822 [↩]
0 Kommentare
1 Pingback