Weihnachten

Fast schon wieder schön, dieses orangefarbene Licht der Straßenlaterne dort draußen. Es ist warm, es strahlt und ich glaube, kleine Schneeflocken umtanzen es. Die Plane ist ab, das Gerüst verräumt und der Blick ist wieder freigegeben auf die Straße. In der Zwischenzeit ist Weihnachten irgendwo rausgekrochen. Zumindest scheint es so: In diversen Einkaufsmärkten stehen schon seit langem riesige Süßwarenstrecken mit allem, was gut schmeckt und folgen haben kann: Zahnausfall und/oder Dickbäuchigkeit (nein, entgegen der verbreiteten Meinung machen Lebkuchen nicht schwanger); ich glaube auch Holzbuden an zentralen Orten der Stadt gesehen zu haben. Im Gesamten handelt sich um die Jahresendzeitstimmung. Medien präsentieren Jahresrückblickssendungen, Blogs veröffentlichen „Bestof-Listen“ – sei es nun von Filmen, Musik oder Toilettensitzen. Es ist egal, jeder zieht sich zurück und Resümee. Vielleicht liegt das an den langen Tagen. Jetzt besteht Zeit, zu reflektieren, um im Nachhinein Existenzen und deren Handlungen Sinn zu verleihen.

Im Freundes- und Bekanntenkreis macht man sich unbeliebt, wenn beim vermutlich letzten Treffen in diesem Jahr kein „fröhliche Feiertage und ein guter Rutsch ins Neue“ über die Lippen schwabt. Es werden die digitalen Kommunikationskanäle genutzt – eine SMS, eine Email, eine per Email versandte Powerpoint-Präsentation (inklusiv Rentieren). Man besorgt noch Geschenke. Ist es eigentlich noch in, in überfüllten Einkaufszentren sich über deren Überfüllung zu beschweren? Oder macht man sowas gar nicht mehr?

Aber vermutlich ist es wirklich die beste Zeit, sich über die eigene Existenz Gedanken zu machen. So verknüpft sich Weihnachten seit Jahrzehnten mit den neu vorgenommenen Zielen für das kommende Jahr. Ein Jahreswechsel ist mit der heiligen Dreieinigkeit des Einschlafens – Schlafens – Aufwachens so untrennbar verbunden wie ein Weihnachtsmarkt mit vernebelndem Glühweinduft. Sobald die Tage im Dezember zweistellig werden, macht sich ein Jeder Gedanken. »Wo kam ich her?« »Was bin ich jetzt?« Und natürlich die unlösbare Frage: »Wo geht es hin?«. Nun. Es geht dahin – das Leben. Soviel ist sicher: Unaufhaltsam bahnt es sich seinen Weg durch die Jahre, durch die Zeiten und macht nur manchmal kurz Stopp. Vielleicht an Tagen wie diesen. Und so plant man sich selbst. Nächstes Jahr wird alles besser. Der Graus der vergangenen zwölf Monate wird sich nicht wiederholen. Niemals. Aber das ist falsch. Der Graus der vergangenen zwölf Monate wird sich »so« nicht wiederholen. Ich selbst kann jetzt nicht wirklich sagen, ob das Jahr, das nun verschwindet – abgelegt in irgendeiner Chronik oder irgendeinem Archiv – nun zu den bessern zählen wird oder eher nicht. Es ist noch nicht einmal rum und alles hat sich schon irgendwie relativiert.

Und so plant man Pläne bis in die letzte Sekunde des alten Jahres, verspricht sich bis zur letzten Bewegung des Uhrzeigers im alten Jahr diese einzuhalten und schon beim ersten Glockenschlag im neuen hat man die guten Vorsätze gleich wieder vergessen. Es gibt nämlich gar keine Jahre. Es gibt sie einfach nicht. Die Zeit dreht sich nur auf Uhren im Kreis. Es beginnt nichts am 1.1. und es endet auch nichts am 31.12. Nein. Das ist nur ein Illusion, derer wir alle uns bedienen – sei es aus dem Grund Dinge zu vergessen oder neu zu beginnen. Natürlich gibt es Jahreszeiten und die – so sagt es selbst unsere Erfahrung, ohne auf Gelehrte zurückzugreifen – kehren auch immer wieder. Die Astronomie lehrte uns Sonnenumrundungen mit Jahreszeiten und schließlich mit Jahren zu verknüpfen. Meinetwegen.

Ich persönlich habe für mich eine andere Jahresdefinition, die sich nicht an astronomischen Mutmaßungen Erkenntnissen orientiert. Ich lebe derzeit im Jahr 3. Die persönlichen Gründe, die zu dieser Einschätzung führten, würden – so glaube ich – die Blogosphäre in die Luft sprengen und für mehrere Monate unblogbar machen… so entschwebt ihr also – mit diesem Wissen im Hinterkopf – auf einer Illusion in ein „neues“ Jahr.

I can’t live my life being nervous about tomorrow