Es begann vermutlich alles an dem Tag, an dem die Fenster zu geklebt wurden. Alles wurde blau. Und zusätzlich wurden die Mülltonnen, die seit ihrer Aufstellung im Hof vor Jahren dort so dahin dufteten, übereinandergestapelt. Ergebnis war eine vollständige Unzugänglichkeit für Tage, wenn nicht gar Wochen. Sowas ist immer schlecht, genauso schlecht wie das Bemerken der Nichtanwesenheit von Klopapier während man Dinge betreibt, die als Abschluss Klopapier benötigen. Jedenfalls stapelte sich der Müll unter der Spüle. Die feinsäuberliche Trennung von Hausmüll und direkt biologisch abbaubarem Abfall brach ein. Die ersten Tagen ignorierte man dies, da es ja möglich war durch einen exakten Balanceakt der Finger, weitere Müllgegenstände auf den Mülleimern zu drappieren. Doch irgendwann half das auch nichts mehr und da kroch sie auch an – die Armee der Fruchtfliegen. Sie kamen irgendwoher, sie bissen sich fest am Obst und am stinkenden Müll, sie waren hunderte und sie gingen nicht.
Der Müll ist inzwischen in den nun wieder ordentlich sortierten Tonnen im Hof gelandet. Doch die Fliegen halten sich hartnäckig. Jegliche Fallen wurden zwar zahlreich genutzt, jedoch weigerte sich ein gehöriger Teil der Fliegenpopulation, in diese Fallen zu tappen. Schlimmer noch; sie scheinen einen auszulachen, wenn sie dann abends – zur Zeit des Sonnenuntergangs – um den Kopf herumschlendern und nur ein Ziel haben: die größtmöglichste Wut des nach ihnen Schlagenden. Ihre kleinen, pipsig-fiepigen Stimmen kichern unentwegt. Jedes Schnappen und Schlagen mit den Fingern nach ihnen wird mit einem hohen „Hoho!“abgetan.
In den letzten Tagen bewiesen die verbliebenen Fruchtfliegen Mut und breiteten sich in weiteren Zimmern der Wohnung aus. So sitzen sich vermutlich derzeit auf der Oberkante des Monitors oder irgendwo daneben oder dazwischen und betrachten mich hier. Sehen mir zu – wie ich diese Zeichen tippe, wie ich im Netz lese, wie Texte verfasse und oder einfach nur mit müdem Blick auf den Monitor starre, um sein viel zu schnelles Flackern irgendwie verlangsamen zu können. Bestimmt haben sie mich auch beobachtet wie ich aus dem Fenster gestarrt habe. Wie ich mir zeitweise die Menschen hinter der Plane (ja sie hängt immer noch) vorgestellt habe – wie sie geschäftig Geschäften nachgingen.
Bestimmt sind ihnen auch die Nächte aufgefallen, in denen ich nicht hier war, in denen ich nicht zum Schlafen kam, in denen das Zimmer kalt und still blieb. Vielleicht haben sich deswegen auch nur einen Moment gewundert und sich gefragt, wo er denn bleibt. Vielleicht.
Derzeit glaube ich, dass sie an meinen Gedanken interessiert sind. Die warten immer genau darauf, dass ich versunken bin in mir und über etwas nachdenke. Genau in diesem Moment, in dem mein Geist kurz die Bindung zur Realität verliert, es kurz schafft die Umwelt in den Hintergrund zu drängen bzw. auszublenden, schlagen sie zu. Sie fliegen direkt in meinem Blick und tauchen so auch kurz in meine Gedankenwelt ein. Sie kommen dann direkt aus der innere Mattscheibe herausgeflogen und tänzeln in meiner Gedankenwelt herum… mischen sich in Ideen ein, setzen sich auf Gedankenstränge und klettern an Erinnerungen hinauf und manchmal wieder hinunter. Vielleicht schnüffeln sie auch an Urteilen und verändern so die Entscheidungen
Exakt in diesem Moment bemerke ich sie, nehme wieder Kontakt mit der Wirklichkeit auf, erkenne sie vor mir herumschwirren, hole aus, schlage nach ihnen und verfehle oft – fast immer. Ich habe es inzwischen aufgegeben, sie zu jagen. Ich habe es einfach aufgeben. Vielleicht habe ich das auch gar nicht getan, sondern ein Fliege. See ist zurückgelieben in mir, weil ich es nicht geschafft habe, sie zu vertreiben; sie hatte sich an meinem Willen festgemacht und entscheidet nun alles für mich. Kleines Flieglein, was tust du nur. Wo bist du? Bist du es vielleicht, die diesen Text schrieb?
20.11.2007 at 14:45
Klasse Text, Applaus! Die Idee, die Fliegen ins Innere zu lassen, ist geschickt umgesetzt.